Im Februar hatten wir überlegt, was uns blockiert und davon abhält, uns „fallen zu lassen“. Auf Seiten aktiv Agierender wurden da die Ängste benannt, zu verrohren, wenn man sich ganz dem beiderseits gewünschten Gefühl der uneingeschränkten Dominanz hingibt. Der von passiver Seite erwähnte Wunsch, dass es ein „vor“ und ein „nach“ der Session gibt, wo wieder Augenhöhe hergestellt wird, passt dazu sehr gut – kontrastiert aber wieder mit 24/7 Sehnsüchten, bei denen eben gerade dies vermieden werden soll. Während hierbei ein dominanter Teilnehmer berichtete, dass er zwar durchaus nicht immer mache, was seine Partnerin sich wünsche, empfand er aber dennoch die Wünsche seiner Partnerin als „Kapital“, das ihm eine Menge Mechanismen und Werkzeuge an die Hand gibt, um trickreich zu spielen.
Die humorvolle Seite findet sich dazu in der Rückschau zu „Pleiten, Pech und Pannen“; die Frage, ob und wie das Glück der erotischen Erfüllung im Switchen begründet liegt oder liegen kann und welche Rolle die Fürsorgepflicht in SM Beziehungen spielen könnte, wurde beim letzten Treffen auch schon erörtert.
Während „sich fallen lassen“ und „sich hingeben“ sich so schön passiv und paradiesisch anhört, kann der Weg dahin in der Praxis, wie es scheint, sehr kompliziert sein. Auf der einen Seite lauert Stress und Konfliktpotential zwischen den Partnern, auf der anderen das Unterschreiten der gewünschten Intensität, was am Ende dieses Poles zur Langeweile führt. Grund genug mal wieder einen Fachmann, ohne Provenienz aus der SM-Szene heranzulassen. Wir freuen uns, dass Michel Kief, Diplompsychologe aus Winterbach sein Interesse bekundet hat, mit uns über darüber ins Gespräch zu kommen, wie alles in den Fluss kommt: Wo bitte geht’s zum Flow?
Mit gespannter Erwartung, wie der Diplom Psychologe Michael Kief einen Bezug vom Thema Flow auf die Interaktion zwischen Sadomasochisten herstellt, trafen sich am 29.06.2012 im Gesprächskreis SundMehr 18 Teilnehmer.
Mit einem sehr fachlichen Einstieg, erläuterte der Gast, der selbst außer seinen gelegentlichen Besuchen im Gesprächskreis keinen Bezug zur SM-Szene hat, die vom ungarisch stämmigen Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi entwickelte Theorie, die zu erklären versucht, warum Menschen Dinge tun, die an sich keinen Überlebensvorteil mit sich bringen – auch nicht in materieller Hinsicht – sodass der Gewinn und die Motivation für die betreffenden lediglich im Erleben der entsprechenden Tätigkeit zu suchen ist. Menschen tun hierbei ganz offenbar auch Dinge, die kein Ziel zu haben scheinen. Besonders bei Sportarten wird dies deutlich, weil Freizeitsportler auch Leistungs- oder Risikosportarten ausüben, ohne dass es sich um Wettkämpfe, oder ähnliches handelt. Die Theorie zum Phänomen des „Flow“ umschreibt zunächst die Erkenntnis, dass es Tätigkeiten gibt, in denen Menschen mit einer gewissen Lust ganz aufgehen (z.B. das Zeitgefühl verlieren) oder „zerfließen“, was bei hochkonzentriert ausgeübten Tätigkeiten genau so der Fall sein kann, wie bei sehr entspannenden Tätigkeiten.
Voraussetzung ist hierbei, dass der betreffende der Situation gewachsen ist – also, dass die Anforderung sein Können nicht übersteigt, dennoch aber hoch ist. Ist Anforderung und seine Fähigkeit diese zu erfüllen, sehr gering, kommt es schnell zu Langeweile. Bestehen Diskrepanzen zwischen Anforderung und Können, kann es entweder zu Angst kommen (der Anforderung nicht zu genügen) oder zu ermüdender Entspannung, weil die Anforderung unterfordert (zur Veranschaulichung sei bei näherem Interesse hier empfohlen sich bei einschlägigen Online-Nachschlagewerken weiter kundig zu machen).
Der Bezug zu SM wurde nun hier aus der Teilnehmerschaft selbst hergestellt, in dem einige der Aktiven ihre Zufriedenheit äußerten, dass es endlich eine Theorie gibt, mit der sich erklären ließe, was für sie das befriedigende an Sessions sei, über passive gäbe es ja schon so viel… dem wurde von Seiten der eher passiven Teilnehmer widersprochen, mit einem Beispiel aus einer DS-Situation, bei der der betreffende ein Wochenende lang zu ständigen Haushaltstätigkeiten aufgefordert wurde, was ihm, wenn er gewusst hätte, was alles auf ihn zu kommt, sicher ein sehr großes Stressgefühl vor der ganzen Arbeit, bereitet hätte, so jedoch zu einer Session wurde, bei der er, wie in Trance, weit mehr, als den sonst üblichen Hausputz geleistet hatte – in euphorisierter Stimmung.
Kurz wurde nun aus der Gruppe heraus mit dem Gast diskutiert, was der Unterschied zwischen Flow und Trance sei, bei der ja auch das Zeitgefühl verloren ginge. Es stand die Vermutung im Raum, dass beides nahe beieinander liege, jedoch nicht dasselbe sei, weil Flow eher an Aktivität gebunden sei – ohne den Erwartungsdruck, ein bestimmtes Ziel mit ihr zu erreichen, das dann wieder eine Parallele zur Trance darstellt. Vermutlich, so äußerten einige Anwesende, käme zunächst der „Flow“ und dann die Trance.
Die Frage stellte sich hier, aus was „die Aktivität des Passiven“ besteht. Denn die körperliche Tätigkeit könne es nicht sein. Bei Untersuchungen zu diesem Phänomen, konnte hier ein Teilnehmer zum Thema beisteuern, bei denen meditierende Mönche bereit waren, mitzuwirken, hatte man allerdings festgestellt, dass deren Hirnströme ein großes Aktivitätspotential zeigten, obwohl sie äußerlich vollkommen ruhig waren. Tätigkeit und Aktivität besteht neurologisch gesehen eben auch aus Wahrnehmung, Denken und Spüren. Zur Anforderung, die an den Mensch gestellt wird, auf die er mit seinem Können reagieren muss, zählt auch ein ganzes Sammelsurium von Eindrücken. So würde der Surfer sein Flow-Erlebnis sicher eher vor Hawaii auf dem Brett in der Echten Welle haben, mit Salzgeschmack im Mund und Wasser und Wind auf der Haut, als bei der noch so realistisch gestalteten Simulation im Forschungslabor. Einen Flowzustand begünstigen könne also auch das passende Setting, was sich auf Äußerlichkeiten (Bekleidung, Musik usw…), wie auch Soziale Situationen beziehen kann. Klar, dass die meisten der Anwesenden da an ihre Session-Musik, die sorgsam vorbereitete Situation oder die Party dachten.
Bezogen auf die Flow-Theorie, meinte der M. Kief, merke er nun, wo das Konzept eventuell zu kurz greife, um eben die Lust an der (relativen) Passivität, dem Manipuliert werden ohne selbst – äußerlich – tätig zu sein, ausreichend zu erklären.
Die Flow-Theorie gibt jedoch auch einige gute Hinweise wie Motivation entsteht, erläuterte der Psychologe. Die Menschheit ginge sicher vor die Hunde, wenn der einzige Antrieb die Angst vor Strafe oder Aussicht auf Belohnung sei. Es sei gut zu wissen, dass viel relevanter die Freude am Tätig sein ist, was gesellschaftlich vor allem in pädagogischen Arbeitsfeldern sehr wichtig ist und dennoch oft unterschätzt wird. Ein bestimmtes Ziel anzustreben, kann dagegen am Flow hindern. Auch hierin sahen sich die eher dominanten, aktiven Teilnehmer bestätigt; froh, endlich eine Antwort auf die Frage zu haben, warum ihnen Spaß macht, was sie tun. Andere Teilnehmer steuerten die Erfahrung bei, wie praktisch unmöglich es war, eine vielleicht erstmalig erlebte „super Session“ zu wiederholen. Es bestehen Bilder im Kopf, auf aktiver und passiver Seite. Wer versucht diese zu wiederholen wird immer etwas anders machen und erwartet andererseits eben ein bestimmtes Erlebnis, was insgesamt von der reinen Freude am Tun ablenkt und genau dadurch das Ergebnis unerreichbarer macht.
Fragil sei zudem alles, was durch die Interaktion zweier Partner bedingt ist: wer wollte gewährleisten, dass der Flow bei beiden gleichmäßig aufkommt? Die Legende vom absolut geilsten Sex, der nur dann wirklich gut ist, wenn beide Partner gleichzeitig zum Orgasmus kommen, war allen Anwesenden als Klischee bewusst, ähnelte hier jedoch der Hoffnung auf den Synchron-Flow.
Bei SM ist dagegen ohnehin eine gewisse Asynchronizität gegeben, die durchaus dafür sorgen kann, dass der Flow zu unterschiedlichsten Handlungszeitpunkten aufkommt. Gut also, wenn jeder der Handelnden (auch der angeblich passive) den Flow des Partners unterstützt – und schwierig, wenn dies die Erwartung beider Beteiligter ist, denn Erwartungen können ja die Entstehung des Flows behindern.
Kaum vorstellbar ist es, einen Flowzustand über Stunden, regelmäßig oder lange Zeiträume herbeizuführen (niemand kommt so lange in einen Flow), und auch hier wird die Hoffnung darauf, bzw. die Erwartung ihn zu erzwingen eher daran hindern, dass der gewünschte Zustand eintritt, gerade das Ergebnis erschweren. Es gilt: „der Weg ist das Ziel“. Beim Zusammenspiel zweier Leute entsteht eben immer eher ein Produkt (aus mehreren Faktoren, die einen Ergebnis bedingen und gleichzeitig mehrere Ergebnisse hervorbringen) als eine schlichte Summe, schloss der Psychologe, der sich diesmal nicht durch einen Fragenkatlog der Teilnehmer auf den Abend vorbereitet hatte, sondern sich nach Anregungen in Form von Texten aus der Szene sowie einen aktuellen kurzen Fachartikel, der freien Diskussion rund um das Thema stellte, was einen sehr intensiven und freien Austausch hervorragend ermöglichte. Die Beendigung des thematischen Teils stellte dann beinahe eine Unterbrechung des Gespräches dar. Allerdings setzte im schlecht belüfteten Raum an diesem schwül-heißen Sommertag die Konzentrationsfähigkeit auch ihre Grenzen, sodass die Teilnehmer anschließend ins Freie flüchteten um dort noch lange weiter zu sprechen.
Datum: | 29.06.2012 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
Ort: | |
Anfahrt: |
Anfahrt über B 14/B29: Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS |
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