Beim letzten Treffen ließen wir uns über die Wirkungsweise von Traumatisierungen informieren. Doch sind es nicht nur die Folgen eines Posttraumatischen Belastungssyndroms, die uns am Leben hindern können. Wie sieht es denn mit einem kleinen Zwang aus? Oder einer Verstandesmäßig nicht begründbaren Angst - oder Vorliebe? Doch sind die wenigsten Vorlieben mit dem Verstand zu erklären, sondern einfach Geschmäcker über die sich schlichtweg nicht streiten lässt. Woran erkennt dann also der interessierte, oder leidende Laie, ob er reif für den Gang zum Therapeuten ist? Ist die ständige Selbsthinterfragung, ob Therapie angezeigt ist, oder nicht, selbst nicht Problem genug, das Behandlungsbedarf anzeigt? Andererseits will der selbstaufrichtige Mensch ja seine Probleme nicht verdrängen und verleugnen. Und Probleme hat ja jeder. So steht er, oder sie dann da, und überlegt ob professionelle Hilfe angezeigt ist, was zur Folge haben kann, dass so manches Problemchen erst dadurch zum echten Problem wird in das der Mensch sich hineinsteigert. Dabei muss das, was bei dem einen zum psychischen Problem führt sich beim andern noch lange nicht genauso auswirken. Wer Umstände, Situationen oder Ereignisse in seinem Leben kennt, die Ursache für ein Problem sein können, muss noch lange kein Problem haben, genauso wenig, wie jeder eine Grippe bekommt, nur weil er sich unter infizierten Leuten aufhält oder mit dem entsprechenden Virus in Kontakt gerät. Genauso kann aber die Furcht vor der Stigmatisierung als "psychisch krank" Schwellenängste aufbauen, die gerade die Leute, die es nötig hätten, von einer Therapie abhalten - wozu bei manchem SMer noch die Furcht kommt, gemäß ICD allein schon wegen seiner Vorlieben als krank eingestuft zu werden. Woran erkenne ich also, dass ich es nötig - oder eben nicht - habe, eine Therapie zu machen? Als Gast zum Thema haben wir diesmal Pia Voss-Höge eingeladen, die bereits schon beim letzten Abend "hospitierte", um von ihr zu erfahren, wie sie, als psychologische Psychotherapeutin auf dem Hintergrund ihrer Berufspraxis solche Fragen einschätzt. Pia Voss-Höge ist vom Thema SM persönlich ebenfalls nicht tangiert, mit einer Frau verheiratet und ist Christin (ist kirchlich ähnlich engagiert wie J. Wagner).
15 SadomasochistInnen trafen sich am 26.08.05 im Gesprächskreis SundMehr in Kernen-Stetten. Nachdem vor der Sommerpause Wirkungsweise und das Zustandekommen von posttraumatischen Belastungsstörungen Thema war, war diesmal die psychologische Psychotherapeutin Pia Voss-Höge zu Gast, um darüber zu informieren, ab wann der Gang zur/zum TherapeutIn angezeigt ist. Gleich Eingangs erklärte die Verhaltenstherapeutin (Kognitive Verhaltenstherapie, Systemische Therapie, Traumatherapie, Verhaltenstherapie), dass es heute in der Verhaltenstherapie nicht mehr allein um das Erlernen anderer Verhaltensweisen (z.B. durch Desensibilisierung) im Hier-Und-Jetzt geht. Auch biographische Hintergründe würden berücksichtigt, um die aktuelle Situation zu verstehen. Allerdings ist das Ziel eher, die Lebensfähigkeit im Alltag wieder herzustellen, als Vergangenes durch Aufarbeitung ungeschehen zu machen (was ohnehin nicht möglich ist). SM ist daher an sich noch keinerlei Grund für eine Therapie. Kriterium könnte lediglich sein, ob die jeweiligen Praktiken – auch autoerotischer Art – eher aus Lust oder aus Frust initiiert werden. Inzwischen sei es auch in der Fachliteratur bekannt, dass sadomasochistische Beziehungen durchaus für beide Seiten befriedigend sein können. Ausschlaggebend ist dabei immer, ob das Geschehen „inkliniert“ ist – was soviel meint, ob es einvernehmlich ist, SSC beachtet wird. (FIEDLER, Peter: „Sexuelle Orientierung und sexuelle Abweichung“, Beltz pvu, 2004). Wo dies nicht der Fall ist, wäre Therapie sicher notwendig, die Betreffenden werden jedoch die notwendige Motivation zeigen. Auch das Wissen um eine verletzende Erfahrung in der eigenen Biographie reicht allein noch nicht aus, um Therapiebedarf zu indizieren. Wer aber seine psychischen Probleme, mit den ihm sonst eigenen Strategien (Gespräch mit anderen, Reflexion, Tagebuch, Sport usw.) nicht lösen kann sollte jedoch therapeutische Hilfe anstreben. Insbesondere: - wenn SM in den Kontext einer anderen psychischen Problematik eingebettet ist. Wenn der Eindruck entsteht, dass das Gegenüber SM nicht aus Lust betreibt, dann ist Vorsicht geboten. - Wenn submissives Verhalten den Bereich der Erotik weit übersteigt und eher darauf abzielt, sich selbst zu schädigen. - Wenn es zu einer Art inneren Abhängigkeit kommt, die die Alltagsbewältigung behindert (wobei im Falle von akuter Verliebtheit erst einmal 8-10 Monate abgewartet werden sollte). - Wenn Traumatische Erfahrungen geweckt werden (oder der begründete Verdacht besteht, dass entsprechende vorhanden sein könnten). Im Akutfall: sofort stoppen, sprechen, ggfs. „in die Gegenwart holen“. Möglicherweise eine Zeitlang auf SM verzichten. - Wenn Symptome auftauchen, die im Alltag lähmen, ohne dass körperliche Ursachen zu finden sind. Eine Empfehlung des Therapeuten durch Bekannte ist hierbei keine Gewähr dafür, dass die therapeutische Beziehung auch im eigenen Fall stimmig ist. In der Regel steht am Anfang ein Erstgespräch, in dem der Ratsuchende genau in sich hineinhorchen sollte, ob die Vertrauensbasis zwischen ihm und dem/der TherapeutIn stimmt. Hier wurde eingeworfen, dass dies für Leute, die in Problemsituationen stecken sicher schwierig ist, weil sie sich durch ihre Problematik ohnehin schon in einer schwächeren Position befinden bzw. empfinden, was auch von der Referentin bestätigt wurde. Manchmal stellte sich bei solchen Erstgesprächen heraus, dass weniger Therapie angezeigt ist, als Sachinformation, Aufklärung oder der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe. Zusammenhänge zu weiteren Themengebieten (z.B. zur Sexualität) sollten auch vom Therapeuten nur konstruiert werden, wenn diese vom Klienten selbst hergestellt werden. Über speziellere sexuelle Themengebiete wird in den Therapieausbildungen allerdings viel zu wenig vermittelt, stellte die Fachfrau, die selbst keinen persönlichen Bezug zu SM hat, jedoch lesbisch ist, fest. Bezüglich Homosexualität sei hier allerdings eine Entwicklung festzustellen: Früher verboten und strafbar, wurde diese dann als krankhaft in den diagnostischen Handbüchern ICD und DSM erwähnt, wobei jetzt, nach der Streichung als pathologisch, kaum noch jemand über Homosexualität spricht. In der schwul-lesbischen Szene gäbe es die Möglichkeit sich umzuhorchen, welche Therapeuten eher empfehlenswert sind, sofern bei einem Problem die Sexualität tangiert ist, oder von welchen abgeraten werden sollte. Schwierig wäre es immer, wenn die Therapeuten durch Unaufgeklärtheit in die Falle eigener Klischees, Vorurteile oder Vermutungen über die Lebensweisen andersartiger Sexualität gingen. Am Ende gab es noch Gelegenheit für Begriffserklärungen, sowie Detailfragen aus der Runde, aus der sich erneut wieder fast jedeR Anwesende am Gespräch beteiligte. Visitenkarten, nach denen von einigen Teilnehmern zum Schluss gefragt wurde, sind über SundMehr erhältlich. Für spezielle Sexualtherapie steht Fr. Voss-Höge jedoch nicht zur Verfügung.
Datum: | 26.08.2005 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
Ort: | TV-Heim, Am Sportplatz 4, 71394 Kernen-Stetten |
Anfahrt: |
Anfahrt über B 14/B29: Anfahrt von Esslingen: |