"Gewissen" - theologisch betrachtet

Bei wie vielen frustrierten SMern wird "Kirche" zum Reizthema, weil sie vom "Bodenpersonal" verletzt sind. Doch was ist denn "Kirche" schon? Viele verwechseln diesen Begriff schon mit "Glaube" oder gar "Gott". Dabei ist "Kirche" doch nur die ganz menschliche Institution, die "Glaube" / "die Beziehung zu Gott" unterstützen sollte. Gut, genau da liegen wohl die Verletzungen bei vielen, bei denen dann aber auch, eine Vielzahl von Klischees zu finden sind - vor allem in Form von Mutmaßungen, wie Leute "in der Kirche" reagieren würden, wenn SMer sich zu ihrer Neigung bekennen würden. Dabei definiert "Kirche" letztlich nur eine Gruppe von Menschen; zugegeben: auf Grundlage eines Ideellen Anspruchs, dem sie nie gerecht werden könnten - aber im Grunde genommen gehört das ja zum Bekenntnis dieser Religion dazu. Und wer hätte den Anspruch, dass alle seine Mitmenschen - ob sie zur "deutschen Gesellschaft", zu "den Kaninchenzüchtern" oder gar "der Szene" gehöen - alle eigenen Ansichten tolerieren und teilen? Und wer würde dies zur Bedingung machen, es in dem Beziehungsgefüge auszuhalten, in dem er lebt? Wer das versucht, landet schnell in der Selbstisolation. Ein Teil des Problems ist sicher, dass die Kirche sich als "Herde" des guten Hirtens sehen will; dieses Gottes, der ja alles weiß und sieht und alle liebt - und wenn mein Nebensitzer auf der Kirchenbank nicht mag, was ich liebe und was Gott von mir weiß, führt mich die Akzeptanz meines Nebensitzers schneller zu Zweifeln an diesem Hirten, als andersherum. Doch warum macht das Gewissen vielen Leuten in dieser Form Probleme? Als Gast in unserer Runde ist bereits zum dritten Mal Pfarrer Ernst-Michael Wahl von der ev. Kirchengemeinde (Kernen-) Rommelshausen (http://www.ev-kirche-rommelshausen.de/ ), der sich unseren beim letzten Treffen gesammelten Fragen stellen will.

Rückschau

Zu Gast war am 26.06.09 Pfarrer Ernst-Michael Wahl von der evangelischen Kirchengemeinde Kernen-Rommelshausen (http://www.ev-kirche-rommelshausen.de/) im Gesprächskreis SundMehr um mit den 18 anwesenden Teilnehmern über das Thema "Gewissen" aus der Sichtweise eines Theologen ins Gespräch zu kommen, nachdem bei einem vorherigen Termin dazu Fragen gesammelt wurden. Zur Frage, ob Gewissen eher ein theologischer Begriff ist, oder erst nach der Aufklärung gebräuchlich wurde, wurde wie bereits in der letzten Rückschau erwähnt, auf Martin Luthers Bibelübersetzung Bezug genommen. "Im Alten Testament gibt es diesen Begriff nicht", klärte der Pfarrer auf. Viel mehr war für die alten Hebräer, "Herz und Nieren" der Sitz dieser inneren Instanz, die signalisiert, wenn ein Mensch gegen seine Überzeugung handelt. Entsprechend sind auch Aussagen zu verstehen, wenn Menschen "auf Herz und Nieren" geprüft werden. Erst in den Paulusbriefen des neuen Testamentes taucht vermehrt - wohl beeinflusst vom griechischen Denken - ein Wort auf, das am ehestem dem nahe kommt, was wir heute unter "Gewissen" verstehen, wobei dies eigentlich keine zentrale Rolle im Christlichen Menschenbild spielt, allerdings eine große: Für Paulus ist das Gewissen eine hohe - die höchste - innermenschliche Instanz, das handelnde und beurteilende (Selbst-)Bewusstsein des Menschen, das dadurch handelt, dass es sich in anklagenden oder verteidigenden Gedanken "zu Wort" meldet, erläuterte der Theologe einen Sachverhalt, den mancher SMer vor allem aus Zeiten, in denen er sich nicht traute, zu seinen Gefühlen zu stehen, kennt. Im Gewissen spürt der Mensch seine eigene Selbstwidersprüchlichkeit als Spannung zwischen dem Anspruch (Gottes): des Sollens und der eigenen Feststellung, dass ich aber so bin, wie ich bin. Der Mensch muss sich letztlich aber allein vor der weit höheren außermenschlichen Instanz Gottes rechtfertigen. Paulus sieht im Gewissen also nicht die oberste Instanz, sondern die ist für ihn allein der kommende HERR (Kyrios). Dieser Linie folgt dann auch Martin Luther, für den das Gewissen eben auch nicht die "Stimme Gottes" ist, sondern vielmehr der "Ort" im Menschen, an dem der Glaube gegen die Anfechtung und Versuchungen ankämpft ("bedrängtes Gewissen"). Auch für Luther ist damit Gott / Christus die oberste Instanz, und nicht das menschliche Gewissen. So gesehen spielt das Gewissen durchaus eine zentrale Rolle im biblisch-christlichen Menschenbild - nur darf man es eben nicht mit der letzten Instanz Gottes gleichsetzen. Gewissen, als innere Instanz des Menschen, mit der "Stimme Gottes" gleich zu setzen, entspricht also nicht dem biblischen Denken, betonte der Theologe. "Nicht Gott bewertet mich, sondern ich mich selbst. Schließlich hat auch der nicht gläubige Mensch ein Gespür dafür, was er gut findet und was nicht." Aus der Runde der Teilnehmer entstand hieraus die Frage, wo die Kirche eine Orientierungslinie gibt, an die sich Menschen halten können, allerdings nicht im dogmatischen Sinne, sondern als Rahmen, der Selbstverantwortung und Selbstentfaltung ermöglicht. Die Diskussion gewann hierbei an Heftigkeit, weil sich das Gespräch zunehmend vom Thema entfernte und die Frage nach der Verantwortung der Kirche als Moralinstanz auftauchte, die sich gerade auch für Minderheiten, wie Homosexuelle und letztlich auch Sadomasochisten engagiert und ihnen den Weg zu sich selbst erleichtert. Schwierig wurde das Gespräch als weithin bekannte Vorhaltungen gemacht wurden, zu Fehlern in der zweitausendjährigen Kirchengeschichte - wobei andere Teilnehmer darauf hinwiesen, dass bezüglich der gesellschaftsprägenden Funktion vierhundert Jahre Christenverfolgung ab zu ziehen seien. Da der Gast als evangelischer Theologe sprach, wurde dann jedoch auch zu Recht auf Martin Luthers Leistung verwiesen, der gerade mit der Übersetzung der Bibel die Grundlage legte, dass Menschen unabhängiger von der Institution und Interpretation einzelner Kleriker, und somit ermächtigt wurden, ihren eigenen Glauben maßgeblich zu gestalten. Letztlich blieb es jedoch bei der Frage, welche Unterstützung Menschen von der Kirche erwarten können, um zu sich selbst zu finden. Zwischen sich nicht äussern, wie ein Teilnehmer dies auf Seiten der evangelischen Kirche ausmachte, und Überreglementierung, was eher die katholische Tendenz sei, klaffe ein großes Loch. Zwar gibt es, nach Aussage des Pfarrers wohl befreiende Stellungnahmen zu abweichenden Verhaltensweisen, sowie anerkannte Initiativen Homosexueller Pfarrer und Pfarrerinnen, doch wären diese wohl zu leise, stellte er fest, weil diese bei dem Gros der Teilnehmer unbekannt waren. Eine Teilnehmerin befand, dass letztlich jeder bei sich selbst anfangen müsse. Wenn ich will, dass in der Gemeinde eine Atmosphäre der Akzeptanz und Offenheit entsteht, muss ich eben selbst anderen gegenüber Barmherzig sein, die meine Ansichten, Lebensweisen nicht teilen. Dem pflichtete unser Gast uneingeschränkt bei, denn auch als Pfarrer wolle er in seiner Gemeinde die Botschaft an jeden einzelnen vermitteln, dass er so sein darf, wie er ist - was vom Moderator des Gesprächskreises bestätigt werden konnte. "Gott liebt die Vielfalt", endete der Pfarrer, "biblisch ist es, auf dieser Basis Menschen zu sich selbst zu verhelfen, solange keine anderen dabei geschädigt werden." Ein Problem sei sicherlich, dass Gewalt zu recht geächtet ist und Aussenstehende bei der Konfrontation mit SM zunächst diese unverständliche Verbindung von "Gewalt" und "Liebe", bzw. "Lust" sähen. Aufklärung, sei hier gefragt, die seiner Einschätzung nach, seitens der SM-Szene noch nicht so richtig greife. Vor allem aber auch die persönliche Komponente hierbei, denn auch beim Thema Homosexualität habe der persönliche Kontakt zu Betroffenen, deren Coming-Out, seine Vorurteile und Befangenheiten gänzlich abgebaut. Trotz der ziemlich schlechten Raumbelüftung, die auch manche Konzentration auf das Gespräch erschwerte, zog sich der thematische Teil bis nach 23:30 Uhr. Nach dem sich dann bereits ein Großteil der Teilnehmer verabschiedet hatte, saß noch eine verkleinerte Runde gemeinsam mit dem Theologen beim zwar formlosen, aber doch intensiven Gespräch bis gegen 01:00 Uhr im Biergarten. Beim Südtreffen des Arbeitskreises SM und Christsein, am darauffolgenden Samstag wurde das Thema dann noch in manchen Gesprächen fortgeführt.

Veranstaltungsdaten:

Datum: 26.06.2009
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort: TV-Heim, Am Sportplatz 4, 71394 Kernen-Stetten
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Erste Ausfahrt (Weinstadt/Endersbach) auf der B29 nach dem Teiler B14/B29 in Richtung Schorndorf, bzw. vorletzte vor der Zusammenführung B14/B29 in Richtung Stuttgart. Dann weiter Richtung Stetten / Esslingen halten.

Anfahrt von Esslingen:
Über Wäldenbronn Richtung Kernen-Stetten. Den Wegweisern „Diakonie Stetten“ und Sportplatz folgen. Haupteingang Diakonie und TV-Heim sind nicht weit voneinander entfernt. Parkplätze gibt es auch genug.

Kontakt: info@SundMehr.de