"Gewissen" - psychologisch betrachtet

Nachdem wir uns zunächst unter uns über das Thema Gewissen unterhalten haben, um Fragen zu sammeln, und uns beim zweiten Treffen diese mit einem Theologen diskutierten, ist diesmal als Gast eine Psychotherapeutin eingeladen. Inzwischen dürfte allen Besuchern der vorangegangenen Treffen klar sein, dass das "Gewissen" geprägt und selbst für gläubige Menschen zwar eine wichtige, nicht aber DIE wichtigste Instanz ist. Doch wie können SMler damit umgehen, wenn sie ein schlechtes Gewissen, wegen ihrer Neigungen haben? Was raten wir - wenn es uns wirklich um den anderen geht - wenn wir zwar vor uns selbst (und vor mehr oder weniger selektierten Anderen) zu unseren Neigungen stehen können, anderen, die damit Probleme haben? Ist Psychologisch zwischen "Scham", "Schuldgefühl" und "Gewissen" zu unterscheiden? Wie bildet sich das Gewissen denn genau? Wird das Gewissen von der Umwelt geprägt oder entwickelt es sich als "Über-Ich" wie von selbst? Ist das "Gewissen" eine anerzogene Meinung, die in gewissem Umfang im Erwachsenenalter überwunden werden sollte? Gibt es Situationen, in denen ein Mensch (z.B. der an der "Gesundheit" seiner SM-Neigung zweifelt) über sein Gewissen "springen" sollte? Und falls ja, wie kann man ihm dazu verhelfen? Über diese Fragen wollen wir mit der Psychologischen Psychotherapeutin Pia Voss-Höge ins Gespräch kommen.

Rückschau

Vierzehn SMler trafen sich am 28.08.09 im Gesprächskreis SundMehr, wo zum Abschluss der dreiteiligen Themenabende rund um das Thema "Gewissen" die Psychologische Psychotherapeutin Pia Voss-Höge als Gast eingeladen war, um über die im Vorfeld gesammelten Fragen mit den Anwesenden ins Gespräch zu kommen. Begriffe wie "Über-Ich" möchte sie konsequent auslassen, weil sie als Verhaltenstherapeutin diese aus der Freudianischen Schule kommenden Ansätze für überholt hält, stellte sie gleich zu Beginn klar. Durch ein Theologiestudium, dass sie immer noch verfolgt, konnte sie bei ihrer Vorbereitung auch in dieser Richtung eine Verbindung herstellen, und stellte umfassend dar, wie sich Moralvorstellungen, Wertgebunden entwickeln und von der Umwelt mit geprägt werden. Die Feinjustierung geschieht hierbei durch das soziale und kulturelle Umfeld, auch außerhalb der Familie. Insgesamt hat eine "gesunde" Gewissensentwicklung immer auch mit einem gesunden Selbstwertgefühl zu tun. Zur Ausprägung eines solchen, ist vor allem der Einfluss der Eltern in den frühesten Kindesjahren relevant, der neben der Vermittlung von Akzeptanz ("du bist o.K. so wie du bist") auch das Vermitteln von Grenzen zum Inhalt haben muss. Aufbauend auf diesem Einfluss können Kinder ihre Werte entwickeln und lernen, was "man" tut und was nicht. Genau diese Werte sind es dann, die in der Pubertät hinterfragt werden. Nach Abschluss der Adoleszenz (etwa nach dem 25. Lebensjahr) kehren die nun Erwachsenen jedoch zu vielen der anerzogenen Werte und Überzeugungen zurück. Bei diesem gesamten Prozess ist wichtig, dass das Hinterfragen der gelernten Tugenden, besonders in der Pubertät, erlaubt sein muss. Ist dies nicht möglich, kann daraus ein geringes Selbstwertgefühl resultieren, was später therapeutische Aufarbeitung notwendig machen kann, erläuterte Voss-Höge. Gewissen hat vor diesem Hintergrund immer etwas mit Meinung und Wertvorstellung zu tun (was wiederum mit dem "Bild" zu tun haben kann, dass von den Bezugspersonen verinnerlicht wurde). Aus dem Kreis der Teilnehmer kam an dieser Stelle die Frage auf, woran es liegt, dass Menschen sich zu "gewissenlosen" Verbrechern oder Kriminellen entwickeln können, die allerdings von der Fachfrau nicht so eindeutig beantwortet werden konnte. Als mögliche Ursachen kommt eine Erziehung in Frage, die auf das Vermitteln von Werten und Grenzen (wie auch von Akzeptanz) keinen Wert legt, woraus soziale Defizite folgen, die es kaum erlauben, Freundschaften aufzubauen. Beispielhaft wurde skizziert, dass Kinder, die ihre Gefühle nicht zeigen dürfen - z.B. weil ihre Eltern es nicht aushalten, wenn sie z.B. nach einem verlorenen "Mensch Ärgere dich nicht"-Spiel wütend sind - später Schwierigkeiten haben können, Fairness im sozialen Gefüge zu erlernen. Als weitere Frage kam auf, inwiefern Moralentwicklung und Intelligenz zusammen hängt, was auch von Joe Wagner mit beantwortet werden konnte. "Selig sind die Geistig armen" oder "was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß" deutet in der Bibel, sowie im Volksmund schon an, dass Bewusstsein - und damit Intelligenz - eine große Rolle bei der Ausprägung bzw. Arbeit einer inneren Instanz spielt, die das eigene Handeln bewertet, was ja schon bei der Kindesentwicklung auffällig ist: vor dem vierten Lebensjahr, können Kinder z.B. nicht bewusst "lügen". Auch die große Authentizität mancher Menschen mit geistiger Behinderung kann hierin seine Ursache haben. Während in einen Augenblick noch bedrohliche Aggressivität regieren kann, kann im nächsten Moment oder anderntags alles Vergessen sein und in große Anhänglichkeit oder Zugewandtheit umschlagen. Die Einsicht in Werte usw. kann durchaus das Leben schwieriger machen - ein gutes Gewissen, ist dagegen ein sanftes Ruhekissen. Ob ein Zusammenhang bestehen könnte, zwischen der Entwicklung sadomasochistischer Neigungen und dem Gewissen (in Form eines schwachen Selbstwertgefühles), wurde daraufhin aus der Runde gefragt, was Fr. Voss-Höge so nicht sah. Eher könnte es umgekehrt sein, denn man redet nicht über Sex, was es besonders schwer für Menschen mit sadomasochistischer Neigung mache, die diese in ihrer Pubertät entdecken. So ist zu befürchten, so die Psychotherapeutin, dass dieses Thema im schulischen Aufklärungsunterricht nicht auftauche. Das ganze Thema Sexualität, wie vor allem ihre Abweichungen vom Normalen sei inhaltlich dann noch Schambesetzt, weil es so anders sei, als was man sonst kulturell über Sexualität liest oder hört, dass dies dem Selbstwertgefühl nicht gerade zuträglich sei. Gut überleiten ließ sich an dieser Stelle zum Unterschied, zwischen Scham oder Schuldgefühl "Scham" beträfe zum Einen die körperliche Seite und damit auch die Sexualität, die auch im Rahmen der Intimität geschützt gehöre - und so etwas vollkommen Gesundes und Gutes ist. Wenn dagegen z.B. Pubertierende ihre Angehörigen als "peinlich" bezeichneten, betrifft dies dagegen eher ein subjektives Gefühl und beschreibt die Differenz von Anschauungen und Moden zwischen Familie und den sich abgrenzenden Jugendlichen. Dies Gefühl ließe sich noch am leichtesten sinnvoll hinterfragen, sofern es zum Problem wird. Schuldgefühle, dagegen, bezeichneten je nach weltanschaulichem Hintergrund das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben und seien weitestgehend gar nicht negativ. Schließlich macht jeder Mensch Fehler, die er einsehen kann, was ihn zum Handeln bringt (in dem er sich entschuldigt, bzw. mit demjenigen, an dem er schuldig wurde, ins Gespräch kommt) - so verändert sich etwas in menschlichen Beziehungen. Sinnvolle Schuldgefühle haben dann aber auch ihr Ende, im Gegensatz zu neurotischen. (Siehe auch: Wolf, Doris: "Wenn Schuldgefühle zur Qual werden : wie Sie Schuldgefühle überwinden und wieder Freude am leben gewinnen können", Mannheim, 1996). Über ein schlechtes Gewissen könne man nicht drüber springen, machte Voss-Höge klar. Man habe es einfach. Wenn SMler allerdings wegen ihrer Neigung ein schlechtes Gewissen haben, können sie sich, bzw. man sie, fragen, doch auszuformulieren, woraus dieses Gewissen bestünde, wie es zu Stande kommt oder (sie sollen sich einmal in ihrer Fantasie vorstellen) was ein Richter ihnen vorwerfen würde. So könne herauskommen, dass Gewissensbisse unbegründet seien. Gut sei es dabei, mit Informationen zu unterstützen (wissenschaftlicher oder populärer Natur). Beruhigend auch die Erkenntnis, die eine Teilnehmerin beisteuern konnte, dass die meisten Einstellungen sich im Laufe des Lebens auch relativieren oder verändern können. Nach den abschließenden Statements der Teilnehmer gab Fr. Voss-Höge noch als (weiteren) Literatur-Tipp für's Eigenstudium: Brockert, Siegfried: "Du sollst dich lieben : Das neue Menschenbild der positiven Psychologie", München, 2002 (zudem: vom Gast nachgereicht: Comte-Sponville, Andre (Autor): "Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben. Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte." Hamburg 1996

Veranstaltungsdaten:

Datum: 28.08.2009
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort: TV-Heim, Am Sportplatz 4, 71394 Kernen-Stetten
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Erste Ausfahrt (Weinstadt/Endersbach) auf der B29 nach dem Teiler B14/B29 in Richtung Schorndorf, bzw. vorletzte vor der Zusammenführung B14/B29 in Richtung Stuttgart. Dann weiter Richtung Stetten / Esslingen halten.

Anfahrt von Esslingen:
Über Wäldenbronn Richtung Kernen-Stetten. Den Wegweisern „Diakonie Stetten“ und Sportplatz folgen. Haupteingang Diakonie und TV-Heim sind nicht weit voneinander entfernt. Parkplätze gibt es auch genug.

Kontakt: info@SundMehr.de