Die SM-Szene lässt sich unter vielerlei Aspekten betrachten: Als Erotik-Szene, aufgrund der vielen Events und Kontaktmöglichkeiten. Betrachtet man sie als Subkultur, bietet sie über die mehr oder weniger kommerziellen Angebote auch den Vorteil, dass Leute, die BDSM-Vorlieben haben, hier „Gleichgesinnte“ treffen können, wie es in manchen Zeitungsanzeigen hieß, als noch nicht das Internet die Kommunikationsmöglichkeit schlechthin für die Szene war. Sie beugt also Einsamkeit vor und bietet sogar Hilfe, für diejenigen, die sich durch ihre Neigung anders, seltsam, vom Rest der Menschheit entfremdet fühlen. Mit dem BVSM e.V. http://www.bvsm.de/ gibt es sogar einen Verein, der sich die Lobbyarbeit für SM, die gesellschaftliche Anerkennung auf die Fahnengeschrieben hat. Und wir selbst tun das ja mit unseren bescheidenen Möglichkeiten auch.
Dabei sind die Fragen spannend: fühlen wir uns Stigmatisiert – wenn ja, von wem? Stigmatisieren wir uns selbst oder tun das andere? Aber wie machen die das, bei Menschen, die ihre Neigung eigentlich gerne unerkannt lassen, nicht weil sie sonst stigmatisiert würden, sondern weil sie einfach zu intim ist… oder werden wir gar Diskriminiert? Ist ja auch schwierig, wenn es keiner weiß… Grenzen wir uns ab und aus, oder werden wir ausgegrenzt? Fürchten wir Repressalien? Haben wir sie selbst erlebt, oder nur von anderen gehört, die sie erlebt haben? Sind wir überhaupt eine Randgruppe, oder fühlen wir uns nur so?
Um sich über die Frage „Sind wir eine Randgruppe, oder fühlen wir uns nur so?“ auseinander zu setzen, trafen sich am 30.09.2011 im Gesprächskreis SundMehr 19 Männer und Frauen mit sadomasochistischen Vorlieben.
Schon in der Vorstellungsgruppe, tauchte die Frage danach auf, was zum Gefühl, eine Randgruppe zu sein, führt. Ob man ausgegrenzt oder mit seinen Neigungen akzeptiert wird, hängt nach den Erfahrungen einer Besucherin stark davon ab, wie man im Bekanntenkreis von SM berichtet: werden persönliche Empfindungen beschrieben, die darstellen, wie tief Erotik hierbei erlebt wird, kann dies durchaus zur Horizonterweiterung und Anerkennung führen. Da dies jedoch z.B. am Arbeitsplatz, unter Kollegen weniger möglich und in seiner privaten Dimension auch oft unerwünscht ist, sind hier offenbar gesellschaftliche Grenzen gesetzt.
So kam die Diskussion schnell auf das Thema „Coming Out“, wobei hierbei der berufliche Kontext einen deutlichen Schwerpunkt bildete. Egal schien hierbei zu sein, ob der Arbeitgeber ein kirchlicher ist, denn fraglich blieb, wenn auch Repressalien bei der Ausübung der aktuellen Position nicht erlebt werden, ob die Bekanntheit, entsprechender Neigungen, bei der Frage des beruflichen Aufstiegs nicht doch hinderlich ist.
Interessant war die Anmerkung einer anderen Besucherin, dass es eigentlich, außer psychischen Erkrankungen oder Gesetzesverstößen, kein Thema gibt, bei dem eine Gefährdung des Renommees so sehr gefürchtet wird, wie beim Bekenntnis zu SM.
Dabei ist ja fraglich, ob und welche Details berichtet werden, denn das Wissen, dass jemand „SMer“ ist, bedeutet dabei ja nicht, dass Einzelheiten aus seinem Intimleben geschildert werden. Auch beim Gesprächskreis zeigt die Erfahrung, dass es unterschiedliche Stufen gibt, bei denen von Intimitäten berichtet wird. Selbst bei einem SM-Stammtisch werden ja kaum im Plenum die genauen Details einer Session beschrieben – auch hier scheint es eine Intim-Grenze zu geben, während alle Besucher sich dennoch frei fühlen, über SM und sich selbst zu sprechen.
Eine Lebensweise, bei der DS eine große Rolle spielt, kann dann allerdings ins Private hineinspielen – wenn z.B. verabredet wird, dass „die Sklavin“ „den Herrn“ immer zu siezen hatte. Eine Anwesende, berichtete davon, dass dies leider wieder aufgegeben werden musste, weil es vor dem nicht-SMigen Bekanntenkreis nicht durchführbar war.
Bei vielen der Anwesenden, gab es durchaus die Erfahrung, dass z.B. beim der Antwort auf die Frage „Na, wie war’s denn im Urlaub?“ vor Außenstehenden, die Route und die Aufenthalte zwar beschrieben werden, jedoch der 3-Tägige Aufenthalt in der SM-Location ausgespart wird. Bei einem Teilnehmer mit affinität zur Kirche wurde gegenüber anderen Gemeindemitgliedern beim Erzählen von seiner Glaubens-Biographie die intensiven Erfahrungen oder Brüche, wegen der eigenen Sexuellen Neigungen gerne ausgespart oder nur flüchtig erwähnt. Wird im fremden Umfeld, bei der Fortbildung oder in der Reha-Klinik, in geselliger Runde, am Abend gewitzelt und kommen dabei blöde Sprüche über SM zu Tage: hört die oder der peinlich berührte SMer/-in weg, oder klinkt sie sich zwecks Klarstellung ein? Und falls ja, wie kommt das rüber?
Es schien schwierig, herauszufinden, warum hier teilweise wohl Rücksicht auf die mehr oder weniger undifferenziert schmutzige Phantasie der Zuhörer genommen und so die Chance verpasst wird, Klischees und Vorurteile abzubauen, während man sich andererseits selbst kaum als Randgruppe empfindet. Und falls ja: „die Gesellschaft besteht nun mal aus Gruppen,“ stellte eine Besucherin fest, „und wir bewegen uns immer in verschiedenen Räumen.“ Für die Mehrheit der Anwesenden schien dabei die Tatsache, einer gesellschaftlichen Minderheit anzugehören, noch kein ausreichendes Indiz zu sein, einer Randgruppe anzugehören – schließlich sind „die Reichen“, Porschefahrer, Golfspieler und Einkommensmillionäre auch in der Minderheit, ohne jedoch darunter zu leiden. Selbst FC-Köln-Fans im Schwabenland leiden nicht unbedingt darunter, wie auch Häkeldeckchen-Liebhaber.
Was bringt also die Gruppe an den Rand? Erzählt jemand aus dem Kaninchenzüchterverein seine Details über die Zuchterfolge beim letzten Wurf, winkt der Kollege vielleicht auch ab, wenn die Informationsflut seine Aufnahmefähigkeit übersteigt, ohne, dass Nachteile zu befürchten sind.
Per se müsste also nichts Schlimmes daran sein, einer Randgruppe anzugehören.
Ein Grund für die Zurückhaltung vor anderen schien wohl auch darin zu liegen, dass man, trotz aller vermeintlichen Aufklärung durch Kolle, Bravo und RTL immer noch kaum über Sexualität in unserer Gesellschaft spricht, meinte ein anderer Anwesender. Ist es aber nur der Tabubruch, der für betroffene Zurückhaltung eines Gegenübers erklärt, der sich überraschend „in medias res“ befindet oder befände, wenn man es anlässlich eines humorig vorgetragenen Klischeespruches über Perverse profund aufklärte?
Bewegen sich Leute mehrere Jahre in der Szene, schien es ein normaler Prozess zu sein, dass zunehmend im Freundeskreis SMer zu finden sind, bis dieser sich überwiegend oder fast ausschließlich aus Sadomasochisten zusammen setzt – was nicht bedeutet, dass man sich dann ausschließlich über dieses Thema unterhält, oder seine Zeit nur zum erotischen Spiel nützt. Im Gegenteil schien das Gefühl vor zu herrschen: gerade weil man jederzeit belanglos über SM sprechen könnte, braucht man es nicht dauernd. Klar, dass man sich in so einem Umfeld nicht als Randgruppe empfindet; es schien sogar bei einzelnen Anwesenden zu einer Verschiebung von „innen“ und „aussen“ kommen zu können – „die Anderen“ sind dann Leute, die nichts mit SM zu tun haben.
Eine Gefahr kann sich allerdings auch bei vor allem SM-Szene orientierten Leuten ergeben, sich als elitär zu empfinden, weil ja bei SM die Sexualität viel intensiver erlebt wird, viel mehr kommuniziert wird und wer sich zur Szene hält, sich seiner Bedürfnisse und Empfindungen viel bewusster ist; arme Aussenwelt, der dieser Reichtum an Reife nicht zugänglich ist.
Gerade auf diesem Hintergrund war der Hinweis mehrerer Besucher interessant, dass sie ihre Kontakte zu Mitmenschen keinesfalls danach aussuchen, ob diese SMer sind oder nicht. Da dies dann jedoch, bezüglich der Möglichkeit eines ungezwungenen Auftretens dann doch eine Rolle spielt, schien die Konsequenz dann dennoch eine automatische Selektion des Freundeskreises zu sein. Wenn auch – wie eine der Anwesenden berichtete – mehr Freunde durch eine Trennung vom Partner verloren wurden, als durch das Bekenntnis zu SM.
Wird zwecks Aufklärung die Zusammenarbeit zu Institutionen gesucht, so kommt von offizieller Seite oft der Rückzieher: „mir / uns selbst macht das ja nichts aus – aber was würden andere sagen?“ was ganz klar einen Tabuisierungs-Mechanismus darstellt, der die eigene Verantwortung wegschiebt, auf das nicht näher definierte, und somit unangreifbare, Umfeld.
Nach intensivem Austausch, der naturgegebenermaßen kein soziologisch greifbares Ergebnis zur Folge hatte, konnte am Ende festgestellt werden, dass zwar die Mitglieder der SM-Szene aus der Mitte der Gesellschaft kommen, SM an sich dort jedoch nicht offen repräsentiert, bzw. „angekommen“ ist. Gut für die Aufklärung, wäre es sicher, wenn Prominente, oder Politiker auch den Mut fänden, sich zu SM zu bekennen, wie einst Klaus Wowereit sich zu seiner Homosexualität. Aber steht die „Szene“ hinter diesen, wo doch so viele persönliches „Coming-Out“ gar nicht für notwendig, sogar eher für „unnormal“ halten? Oder stünden entsprechende Personen dann noch exponierter da?
Viele der beschriebenen Mechanismen, von der Einsamkeit derer, die unter ihrem „anders-sein“ durch ihre sexuellen Vorlieben leiden, über die Selbsthilfegruppenarbeit, der es dann gelingt eine Subklultur zu etablieren, die eben eine „Kultur“ und nicht mehr „Randgruppe“ darstellt und dann aber die Gefahr von Veroberflächlichung und elitärem Selbstbild der selben mit sich bringt, scheint für Minderheiten typisch zu sein.
Em Ende konnte lediglich festgehalten werden, dass letztlich das eigene Selbstbild, und damit das Ausmaß, in wieweit SM ins eigene Leben integriert ist, darüber entscheidet, ob man selbst sich als Teil einer Randgruppe empfindet. Ob man ausgegrenzt oder diskriminiert wird, darüber entscheidet die Umwelt – und darin liegt die Spannung, bei gesellschaftspolitischer Arbeit mit der SM-Szene.
Datum: | 30.09.2011 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
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