Man könnte meinen, Sadomasochisten, die zu ihrer Sexualität stehen können, hätten ihr Ziel erreicht: Ob in der Partnerschaft oder Spielbeziehung können sie endlich all ihre, vielleicht lang ersehnten Phantasien und Träume wahr werden lassen. Bahn frei, für den Hedonismus in Reinkultur, um den die bürgerliche Gesellschaft die Boheme der SM-Szene vielleicht ja beneidet! Tiefste Enttäuschung kann sich schnell breit machen, wenn vorher lang Ersehntes doch nicht ganz so einfach zu erhaschen ist. Bei manchen verdirbt vielleicht die Spinne im Eck als Haar in der Suppe, die schönste einmalige Session. Oder es stimmt nicht nur ein Detail nicht, sondern irgendwas Grundsätzliches: Vielleicht ist ja erotische Ekstase gar nicht alles im Leben, und der Alltag macht sich breit! Oder es stellt sich überraschend heraus, dass da ja zwei Individuen miteinander agieren und die Sehnsüchte des einen gar nicht das Spiegelbild der Wünsche des anderen sind! Wer seine Beziehung allein auf Sexualität gründet, dem kann sie leicht um die Ohren fliegen – handelt es sich um eine Spielbeziehung, ist der Partner ja auch schnell ausgetauscht – falls der Leidensdruck groß genug ist und Ersatz sich finden lässt. Schnell bleiben dann enttäuschte, vielleicht verletzte, oder ewig das perfekte Glück Suchende, zurück. Und damit ist man plötzlich ganz allein – auch unter anderen SMern! Grund genug, sich mit der Frage zu beschäftigen: warum kann ich mich nicht fallen lassen? Oder wer ist eigentlich dafür zuständig? Was hält mich davon ab, meine Sexualität so zu erleben, wie ich sie mir wünsche? Ist die oder der andere „Schuld“ oder eigentlich nur oder immer ich selbst? Gibt es Umstände, die mir das Leben meiner Lust schwer machen und gegen die ich gar nichts tun kann? Oder kann ich alles „handeln“? Gibt es grundsätzliche Blockaden überhaupt, oder eher nur sporadische? Und welche Erfahrungen gibt es diese zu überwinden? Wie nahe können wir uns unserem individuellen Paradies nähern? Gibt es das nur im Traum, allein, oder ist es auch zu Zweit erreichbar?
Zum Gesprächskreis SundMehr trafen sich am 24.02.12, 9 Frauen und 8 Männer mit sadomasochistischen Neigungen, um sich über Probleme oder Lösungsstrategien zu unterhalten, wenn man sich im Rahmen von SM-Sessions nicht fallen lassen kann. Praktisch jeder der Anwesenden schien Erfahrungen mit entsprechenden Situationen zu haben, in denen alles Bereit für die große erotische Erfahrung ist – nur halt einer der Beteiligten nicht. Aus gruppendynamischen Vertrauensspielen, wie sie z.B. in der Jugendarbeit, zur Versinnbildlichung verwendet werden (wie zum Beispiel als Partnerübung, bei der jemand sich mit geschlossenen Augen, steif nach hinten fallen lassen soll, wo ihn ein Mitspieler auffängt), ist die Situation und das bei aller Unsicherheit notwendige Vertrauen allseits bekannt. Und bei SM? Vom Gefühl, des „sich getragen-fühlens“ war die Rede auf Sub-Seite, wenn man alles loslassen kann und sich auf die Session einlassen. Sogar sich selbst loslassen, im Vertrauen darauf, dass der Partner einen auffängt und weiß, was sie oder er mit einem machen kann, bezüglich der Erweiterung eigener Grenzen, wie auch des Stopps vor dem No-Go, der letzten Grenze, die nicht überschritten werden kann, ohne einen „Absturz“ zu riskieren. Ob „sich fallen lassen“ nur für die SMer auf der „Sub-Seite“ relevant sei, wurde dann überlegt, denn scheinbar ist dieser Begriff für die „passive“ Seite, SMiger Spiele reserviert. Doch auch die dominanten Spielpartner müssen zumindest Alltagsaspekte ihres Lebens loslassen; und seien es anerzogene Umgangsweisen, die auf dem Hintergrund eines Metakonsens ja auch mal, im dominant-sadistischen Spiel, etwas weniger freundlich, höflich und zuvorkommend ausfallen können. Zwar darf die oder der Aktive nicht die Kontrolle über sein Tun aufgeben, wie es beim fallen lassen eines passiven Spielpartners ja der ersehnte Kick sein kann, doch muss er sich ebenso von seiner Rolle mitnehmen lassen, um in den Flow zu kommen; dem Zustand der genau korrekten Balance zwischen Unter- und Überforderung in dem die Session wie von selbst läuft und so ziemlich die gleiche Energie aus dem Tun zurück kommt, wie sie aufgewendet wird. Einer der switchenden Teilnehmer steuerte an dieser Stelle die Erfahrung bei, dass seine Konzentration auf die Bedürfnisse der Partnerin, die Session eher zu schwieriger „Arbeit“ werden ließ, die er zwar gern tat, aber dennoch „Dienstleister“ war. In den eigenen Flow gekommen war er, als er vermehrt auf seine Bedürfnisse achtete und mit seiner Partnerin machte, was er wollte. Bestätigt wurde diese Erfahrung auch aus submissiver Perspektive, wo genau das Gefühl, dass das, was passiert, „nur mir zur liebe“ geschieht und die geliebte Domme gar nicht vollständig mit eigener Begeisterung dabei ist (obwohl sie, was sie tut, ja aus Liebe tut), einen Großteil der Freude, vor allem aber auch die Fähigkeit, sich ganz fallen zu lassen, zu nehmen droht. Als Klassiker in den Beziehungsschwierigkeiten aktiver Sadomasochisten dürfen Situationen betrachtet werden, in denen Bedürfnisse und erotischen Vorstellungen der Akteure stark voneinander abweichen, weil vielleicht die Phantasien des einen die Grenzen des anderen sprengen oder weit dahinter zurückbleiben. Gerade in festen Beziehungen kann dies dazu führen, dass man sich als aktiver nicht in die Situation fallen lassen kann, aus Angst, den anderen zu schädigen, was von einer Teilnehmerin anhand eines Beispiels beschrieben wurde, bei dem die Situation jedoch kommunikativ geklärt werden konnte. Während man ja eigentlich froh sein könnte, dass der oft lang gehegte Wunsch von einer festen Beziehung mit einem Partner, mit dem man SM endlich auch so, immer mal wieder und jederzeit im Alltag praktizieren kann, stellt sich dies oft als schwieriger, als gedacht heraus. Denn einerseits werden ja nicht nur die Freuden, sondern auch Sorgen des Alltags geteilt und andererseits – ist ein weniger Nahestehender, oder gar unbekannter Spielpartner sicher eine viel bessere Projektionsfläche für die eigenen Wünsche, als ein geliebter Partner, den man noch viel weniger verletzen will, dessen Reaktionen und Gefühle man viel besser kennt, als andere Spielpartner; einfach weil einem die Beziehung wichtiger ist. Auch die Angst, einer Teilnehmerin, dass z.B. durch Ausleben von 24/7, beziehungsweise DS-Phantasien, die vom Partner sehnlichst gewünscht werden, die Büchse der Pandora geöffnet wird, und beide Beteiligte sich dann so verändern, dass geschätzte Persönlichkeitsanteile des submissiven Partners darunter zu leiden drohen, und die dann zur „Besitzerin“ mutierte Herrin in ihrer Umgangsweise zu „verrohen“ droht. Ein Anwesender Teilnehmer konnte eine entsprechende Erfahrung bestätigen, bei der er nach ca. 6 Monaten aus einer entsprechenden Beziehung geflüchtet ist, die zwar streckenweise äusserst „geil“ , jedoch auf Dauer, für ihn ohne die notwendige „Augenhöhe“ zu unbefriedigend war. Eine andere Teilnehmerin sprach ebenfalls davon, dass in ihrer DS-Beziehung immer wieder die entsprechende Augenhöhe hergestellt werden müsse, weil sie selbst ihre jeweiligen Persönlichkeitsanteile schützen will, weil sie diese, als von ihrem Partner geschätzt voraussetzt. Die Gespräche zeigten dann schon die schwierigeren Seiten, SMiger Liebesgestaltung, die auch aus wie oben geschilderten negativen Erfahrungen bestehen können, die sich dann in weitere Versuche, 24/7 zu leben, hinein ziehen können und daran hindern, sich fallen zu lassen. Dass Kommunikation nicht nur wichtig, sondern unabdingbar ist, wurde von einer der Anwesenden so zusammen gefasst, dass ja niemand wieder in eine entsprechende Situation gehen sollte, wenn er kein gutes Gefühl dabei habe. Oft liegt hierbei der Gestaltungsspielraum bei den Mitspielern auf der aktiven Seite, die dann die Möglichkeit haben, Situationen zu verändern, kleine Schritte anzugehen, Strategien zu überlegen, Situationen anpassen und verändern müssen. Die Verantwortung zur Kommunikation haben dabei jedoch immer beide Partner. Wichtig war hierbei dennoch einem der beteiligten „aktiven“, dass er durchaus nicht zu 100% mache, was seiner Partnerin gefällt. Auch fiele es ihm nicht leicht im Rahmen ihrer DS-Beziehung ständig in seine dominante Rolle hinein zu kommen, weshalb er seiner Partnerin gerne kleinere Regeln aufstelle, deren Kontrolle ja dann auch ihn wieder an seine Rolle erinnerten. Wichtig sei hierbei aber, dass diese keine sehr langfristigen Regeln seien. Trotzdem seien ja die Wünsche des Subs das „Kapital“, meinte ein selbst auf submissiver Seite liebender, aus der Runde. Auch er wollte keine rezeptbuchartigen Sessions, wo alle seine Wünsche abgearbeitet würden. Aber als Möglichkeit, für seine Partnerin, ihn zu motivieren oder manipulieren, sähe er das schon, damit sie mit ihm ansonsten machen könne, was sie wolle. Scheitern sei kein Grund, an sich zu verzweifeln, stellte gegen Ende eine der Anwesenden fest. In ihrer Partnerschaft seien die größten Fortschritte aus den Situationen entstanden, die schief gelaufen sind. Dass Kommunikation und die Verpflichtung, sich gegenseitig genau zu zuhören dabei eine unabdingbare Voraussetzung ist, darin waren sich alle Teilnehmer einig.
Datum: | 24.02.2012 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
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Anfahrt über B 14/B29: Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS |
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