Es sind schon ganz unterschiedliche Lebensumstände in denen SM-Beziehungen stattfinden: Während sich das 60-65-jährige Paar nach Ostern freut, dass die Kinder und Enkel wieder aus dem Haus sind und sie ihren SM wieder ausleben können, geht es der Generation um die 40 (vielleicht mit minderjährigen Kindern) wahrscheinlich ganz anders. Die Generation um 20 hat da wiederum eine ganz andere Situation.
Abgesehen von den unterschiedlichen Lebensumständen – wie sieht es mit der Akzeptanz von SM in unterschiedlichen Altersgruppen aus. Ist es so, dass die jüngeren Generationen hier vollkommen offen sind, während die Älteren eher konservativ denken?
Über diese Themen – vor allem aber über die jeweiligen persönlichen Erfahrungen – wollen wir uns austauschen.
Da unsere Altersrange bei SundMehr ja so ca. zwischen 40 und 65 liegt, haben wir auch eine Einladung an den örtlichen SMJG in Stuttgart (http://www.smjg.org ) ausgesprochen, um auch die Generation von 20-30 auch mit dabei zu haben.
Mit 23 TeilnehmerInnen im Alter zwischen 20 und 66 Jahren, kam es im Gesprächskreis SundMehr am 30.03.2012 zu einem wahren „Treffen der Generationen“ der SM-Szene im Großraum Stuttgart. Um die verschiedenen Stammtische und Gesprächskreise in der Region miteinander bekannt zu machen und bestenfalls zu vernetzen, war unter einigen Verantwortlichen die Idee entstanden, sich gegenseitig einzuladen, um die jeweilige Initiative vorzustellen. So war zum Thema „SM in unterschiedlichen Altersgruppen – wie wird das gelebt und in den Alltag integriert“ eine Delegation des Stuttgarter SM-Jugendgruppen-Stammtisches (SMJG) http://www.smjg.org/treffs/stuttgart/ in den Gesprächskreis SundMehr eingeladen.
Bei der Vorstellungsrunde stellte ein SundMehr-Teilnehmer angeregt durch die Wortwahl seiner Vorredner, ab wann in deren Biographie „SM ein Thema“ gewesen sei, sich und den Anwesenden die Frage, ob in der jüngeren Generation, vielleicht angesichts des größeren Informationsangebotes durch die modernen Medien, die Theorie vor der Praxis käme; bei ihm sei SM an sich kein „Thema“ gewesen, sondern: eine Praktik, der er, mangels Skrupel, erst später das Prädikat eines (eher interessanten als problembeladenen) Themas verliehen hätte.
In der späteren Diskussion griff ein anderer den Faden auf und erinnerte sich, an seine Jugend in den siebziger Jahren, in der unter Gleichaltrigen höchstens thematisiert wurde, ob und ggfs. wer schwul sei oder nicht.
Züge prähistorischer Forschung, bekam das Zusammentragen der Erfahrungen der Anwesenden, die jemand mit archäologischem Tun verglich und nun Erfahrungen aus den 60er-Jahren beitrug: nicht nur wer schwul war oder nicht, war kein Thema, sondern schon allein Sexualität an sich; was zeigt, wie notwendig Oswalt Kolles Bemühungen dieser Zeit waren.
Doch so unterschiedlich sind die Erfahrungen der jüngeren Generation nicht. SM erscheint in der ländlichen Region des Stuttgarter Speckgürtels immer noch als Tabuthema, wie einer der SMJGler berichtete, dessen halbe Verwandtschaft aus der Kleinstadt stammt, in der er noch wohnt. Sich hier zu outen sei für ihn undenkbar. Zu unterscheiden, ob die Tabuisierung sich vor allem auf das Thema SM bezieht, oder offen über Sexualität zu sprechen, war einem anderen der vier SMJG-Besucher wichtig. Dennoch würde SM bei der jüngeren Generation zwar als „normaler“ wahrgenommen, als dies wohl bei den älteren der Fall war, noch lange jedoch nicht als „normal“.
Ob das Klischee, stimme, dass heutzutage fast jeder der jüngeren eine Peitsche im Schlafzimmer und mal ein Fesselspielchen ausprobiert habe, ging eine Frage an die Adresse der Gäste. Und in der Tat riefen die Neckermann-Plüschhandschellen am Bett eher ein leises Kichern hervor – eine Peitsche dagegen wäre dann doch noch etwas aufsehenerregender.
Die Jugendlichen wurden beinahe um ihre nun viel reichhaltigeren Möglichkeiten an Informationen zu kommen beneidet, zumindest jedoch beglückwünscht; dennoch kommt das Gefühl „anders“ oder „abnormal“ zu sein weil SMige Neigungen sich vor sich selbst nicht verleugnen lassen, auch hier vor. Eine der älteren Teilnehmerinnen mutmaßte, dass ausschlaggebend, ob der betreffende Mensch darunter leide, sicher eher der Charakter als das Alter sei. Eine andere Vermutung wurde in den Raum gestellt, dass zwar sicher der Charakter entscheidend ist; doch wenn im Verlauf der Pubertät das Gefühl, in starkem Maße anders, gar von der Gesellschaft entfremdet zu sein, leidvoller Bestandteil der eigenen Identität wird, wirke dies sich gewiss prägender auf das spätere Leben aus.
Zur Frage, ob die modernen medialen Möglichkeiten eher Chance oder Risiko darstellen, wurden verschiedene Aspekte diskutiert. Zwar tauchten im Bereich der SMJG-Foren immer wieder auch Theoretiker auf, die mit Halbwissen glänzten, andererseits sei schließlich theoretisches Wissen vorteilhaft, um Bewusstsein über Möglichkeiten und Vorliebe zu erzeugen, das letztlich ja die Grundlage für einvernehmliches Tun ist.
Im Rahmen der SMJGs würden oft auch die Chancen genutzt, neue Teilnehmer bei Stammtischen oder in den Online-Foren gleich auf Sicherheitsaspekte oder andere Informationsquellen hinzuweisen.
Zur Frage, ob SM eine Modeerscheinung, in der jüngeren Generation würde, kam es zu einem deutlichen „kann sein“, jedoch war keinem der SMJG bislang jemand begegnet, der für einige Jahre starkes Interesse an SM zeigte und dann seine Lust daran verlor. Andererseits würde aus dem Kreise der älteren Anwesenden zurück gefragt, ob dies denn so schlimm wäre? Die Ahnung von der reinen Lehre des SM wurde hier gewittert, auch ein Phänomen, das unter SMJGlern bekannt war: Super-Dom(m)s(en), die wissen, wie „richtiger“ SM geht. Leider ein wohl nicht aussterbendes Phänomen, das in allen Generationen erhalten bleiben wird – wohl weil auch die SM-Szene nur ein Abbild der allgemeinen Gesellschaft ist.
Enttäuschende Erfahrungen mit dem Generationsunterschied gab es von beiden Seiten zu berichten: da sprachen die älteren Anwesenden von jüngeren, die respektlos halblaut fragten, was denn „die Opis“ hier wollten, oder die jüngeren wussten von Partyerfahrungen, wo bei öffentlichem, leichteren „Spiel“ herablassende Kommentare von älteren Anwesenden kamen, hier würde noch geübt – und bei härterer Gangart die Angst geäußert wurde, die wüssten ja nicht, was sie da tun… Insgesamt stellte sich die Lebenswirklichkeit, über die Generationsgrenzen hinweg, als gar nicht so sehr unterschiedlich dar, wobei sich wohl eine leichte Zunahme an gesellschaftlicher Toleranz abzeichnet und gleichzeitig größere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung bestehen. Andererseits verändern sich Phantasien und erotische Sehnsüchte auch im Laufe der Lebensjahre, sodass sich sicher die Intensität verändert. Hinzu kommt der Unterschied bei den Lebensbedingungen; wer noch zur Schule geht, oder während der Ausbildung noch bei seinen Eltern wohnt, hat andere Rahmenbedingungen, die das Ausleben von SM mit oder ohne Partner bestimmen.
Zum Schluss wurden die Gäste noch um einige allgemeine Informationen zu den SMJGs gebeten: als offiziell eingetragener Verein der Jugendarbeit sind alle SMJGs zum Einhalten der Altersgrenze von 27 Jahren verpflichtet. Da die Thematik SM ja explizit Sexualität beinhaltet, achten die Organisatoren streng darauf, dass das Jugendschutzgesetz eingehalten wird: es besteht, sicher ausdrücklicher, als in anderen Jugendgruppen, ein „Anbagger-Verbot“, damit Leute, die speziell auf der Suche nach Sexualkontakten sind, hier nicht Fuß fassen können. Wo sich dies schon im Forum oder Chat herausstellt, wird der Account gelöscht – ebenso bei Überschreiten der Altersgrenze (sofern es keinen ganz triftigen, bekannten Grund gibt, z.B. weil jemand einen älteren Freund hat). Auch ältere SMJGler scheiden aus der Mitarbeit aus, wobei es inzwischen auch einen „Alumni“ Bereich gibt, für ehemalige SMJGler, die sich der üblichen SM-Szene noch nicht zugehörig fühlen oder dies auch nicht wollen. Bislang ist eine offizielle Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung jedoch leider noch nicht gelungen.
Weitere Informationen lassen sich über http://www.smjg.org/ueber-uns/ nachlesen.
Viele, wenn nicht sogar alle, der anwesenden SundMehr-Teilnehmer waren ganz begeistert von der Arbeit der jüngeren Generation, deren schon professionelle Herangehensweise hohe Anerkennung auch über die SM-Szene hinaus, verdient. Schade, dass auch hier die Meinungen über die Form der Öffentlichkeitsarbeit auseinander gehen – was aber auch eine Parallele zu SM-Szene darstellt. Wünschens- bzw. empfehlenswert für diese so wichtige Arbeit wäre die anerkennende Kooperation mit und durch Beratungsstellen, Jugendämter, Presse (persönliche Meinung J. Wagner).
Bleibt zu hoffen, dass den jungen engagierten Aufklärern der Nachwuchs nicht ausgeht und dass sie ihre konstruktive Energie später weit in die SM-Szene mit rüber nehmen können – ohne sich in Richtungsstreitereien zu verlieren und dass alter SM-Hasen sich nicht als Platzhirsche gebärden, ob auf der Party oder im Rahmen des Engagements für Aufklärung.
Datum: | 30.03.2012 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
Ort: | |
Anfahrt: |
Anfahrt über B 14/B29: Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS |
Kontakt: | info@SundMehr.de |