Fürsorgepflicht in einer SM-Beziehung

Wenn Sicherheit, gesunder Menschenverstand und Einvernehmlichkeit als Merksatz für jeden Umgang von Menschen miteinander als Leitspruch dienten, sähe es in der Gesellschaft viel friedlicher aus. Worauf man gegenseitig ein Recht hat oder in der Pflicht steht, wäre ausgehandelt und die Achtsamkeit für sich und den Anderen gewährleistet. Leider denken ja nur Sadomasochisten so umsichtig und sozialverträglich, während sie sich verletzen, demütigen oder dies geschehen lassen und es auch noch genießen!
Schwierig genug, sich bei der Beschäftigung mit Themen rund um Liebe und Erotik auf „Rechte“ und „Pflichten“ der Beteiligten zu beziehen. Geht es nicht einfach nur um die Deckung der Bedürfnisse zweier Menschen, die endlich zueinander gefunden haben; und die möglichst große Erweiterung der Schnittmenge zwischen den beiden? Wo das Interesse am Gegenüber der größte Wert ist, dürfte diese Vergrößerung des Spielraumes doch das Ziel aller Beteiligten sein. Allerdings wirken eigene Bedürfnisse zuweilen auch als Filter, die die Belange des Anderen ausblenden oder relativieren zugunsten der eigenen. Spannend wird es beim Umgang mit Rechten und Pflichten also dort, wo einvernehmlicher Umgang die Basis bildet für die Inszenierung von Nichteinvernehmlichkeit, Unterdrückung und Verschiebung von Machtverhältnissen, zwecks Steigerung von erotischer Lust.
Gibt es zwischen Dom und Sub Rechte und Pflichten gegenüber dem anderen, die an das grenzen, was das Arbeitsrecht unter „Fürsorgepflicht“ versteht? Während hier der Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, das Wohlergehen des „Handlungsgehilfen“ zu gewährleisten, wer ist es in SM-Beziehungen? Wer handelt, wer ist Gehilfe? Gibt es hier ein Ungleichgewicht von Verantwortlichkeit? Wie weit muss Dom(me) die Bedürfnisse des anderen beachten, ohne dass er der dumme Dienstleister ist? Oder ist die Bitte, um Berücksichtigung, nicht nur der Grenzen, sondern auch der eigenen Wünsche das Haar in der Subbe, das die schöne Illusion kompletter Selbstaufgabe zerstört und die lustvolle Paradoxie auflöst, weil klar ist, dass man nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt ist? Hat die Einvernehmlichkeit auf der Metaebene auch Konsequenzen bei der Session? Stört die Spannung, belebt sie oder wird sie lieber reduziert?

Rückschau

15 SMler trafen sich am 25.05.2012 im Gesprächskreis SundMehr um sich darüber auszutauschen, welche Rolle dieser eigentlich eher aus dem Arbeits- als dem Sorgerecht entstammende Begriff in Beziehungen spielen könnte, in denen bewusst und einvernehmlich ein Machtgefällte unter den Beteiligten hergestellt wird.
Einigkeit herrschte schnell darüber, dass das Brechen von Tabus und Überschreiten zuvor definierter Grenzen durch den „mächtigeren“ Partner ein klarer Verstoß gegen eine Pflicht zur Vorsicht und Fürsorge darstellte. Zudem ginge es auch darum, Grenzen zu respektieren, die die Konstitution des anderen mit sich bringt, was auch die psychische Seite einschließt. Auch müsse der aktive Part darauf achten, ob das Gegenüber seine Grenzen noch selbst erkennt. Wo bewusst auch psychische oder physische Grenzerfahrungen erotisiert werden, darf das Edge-Play niemals zum Ätsch-Play werden.
In langjährigeren Partnerschaften stelle sich dies einfacher dar, als in Spielbeziehungen, war die Runde der Anwesenden sich auch einig. Genauere Absprachen sowie größere Achtsamkeit sind hier unumgänglich. So betrachtet hätte die Diskussion im Rahmen SM-Politischer-Correctness schnell zu Ende sein können; denn der Definition, dass als Grundhaltung die Absicht auf dominanter Seite steht, körperlichen und seelischen Schaden abzuwenden oder zu vermeiden, beinhaltet schon der SM-Codex „Safe, Sane und Consensual“. „Wenn jeder seinen gesunden Menschenverstand einschalten würde, wäre das Ganze gar kein Thema“ subsummierte ein Anwesender seine Sicht auf die SM-Gemeinde aus dominantem Blickwinkel. Doch wenn die dauerhafte Vernachlässigung emotionaler Bedürfnisse auch schädigend wirkt, stellt sich die Frage, inwiefern eine Fürsorge auch das Beachten von Wünschen und Bedürfnissen des passiveren Teils der Inszenierung beinhaltet. Hier wurde die Diskussion kontrovers. Das Erfüllen von Wünschen hatte für eine Teilnehmerin nichts mit dem Begriff der Fürsorge zu tun – selbst wenn hier die Parallele zu pädagogischen Situationen gezogen wird. Notwendig war es deshalb, einen Unterschied zwischen „Wunsch“ und „Bedürfnis“ zu klären, wobei eine andere Anwesende „Wunsch“ als Artikulation eines Bedürfnisses definierte; „emotionale Bedürfnisse sind grundlegender als Wünsche“. Erneut stellte sich also die Frage ob „Für-Sorge“ nicht bedeutet, dass jemand „für“ den anderen Sorge trägt und damit auch für dessen Bedürfnisse.
Unproblematischer sah eine andere Anwesende die Thematik, in dem sie fand, dass es bei SM doch vor allem um Spaß, eine Spielwiese, zur Erweiterung der Lebensfreude ginge. „Zwei treffen sich, machen etwas miteinander und es tut ihnen gut – oder eben nicht, dann sollen sie sich halt trennen.“ Was sicher gut ist, wenn es in der Partnerschaft so klappt und der dominante Herr den Werkzeugkasten der Bedürfnisse und Wünsche seiner Sub benutzen kann, um sie mit der Befriedigung ihrer devoten oder masochistischen Wünsche aus einem emotionalen Tief zu holen. Ein anderer Anwesender, wollte die Erweiterung des Begriffes präzisieren und schilderte dazu die Schwierigkeit, in langjähriger Beziehung die Wünsche seiner Partnerin so zu erfüllen, als wäre er kein „Wunscherfüller“. Wenn sie merkt, dass er etwas ihr zur liebe tut, verliert sich seine Dominanz.
Somit war der Blick auf beide Beteiligte aufgetan und es stellte sich die Frage, wie die armen Dom(me)s es denn hinbekommen können, auf die Wünsche den ihnen freiwillig untergebenen einzugehen, ohne sich selbst zu erdniedrigen. Eine Fürsorgepflicht von Sub gegenüber Dom könne es nicht geben, weil „pflichtig“ nur derjenige am oberen Ende des Machtgefälles sein kann, fand ein anderer, eher dominanter Anwesender. Andererseits handle es sich letztlich um eine gleichberechtigte Partnerschaft – und wenn Dom es nicht aushalten könne, dass jemand vor oder nach der Session ihm sagt, was gut war und was nicht, dann habe der ein Problem mit seiner Persönlichkeit.
Erneut kam es zum Vergleich mit dem Arbeitsrecht: schließlich habe der Arbeitgeber auch nicht die Pflicht, seinem Arbeitnehmer alle Wünsche zu erfüllen – sondern nur den Rahmen zu setzen, dass dieser seinen Pflichten nachkommt, ohne dass es ihm schadet. Sofern aber hier mehr geleistet wird, trägt dies zu höherer Motivation und Leistungsfähigkeit der Belegschaft bei, was sich allmählich in manchen Wirtschaftsunternehmen durchsetzt. Und dies lässt sich als Parallele auch auf eine DS-Beziehung übertragen. Rechte kann man einklagen weil ein anderer verpflichtet ist, sie zu gewähren. Motivation dagegen beruht auf Bedürfnissen und Freiwilligkeit. Klar, während die Befriedigung der Bedürfnisse des „aktiven“ sich wunderbar in die Inszenierung einbauen lässt, kann dies umgekehrt schwierig werden, will man sich nicht als Dienstleister empfinden.
Somit war klar, dass es trotz Machtgefälle um eine Interaktion zwischen zwei Handelnden geht. So gesehen, bedeutet „Fürsorge“, dafür zu sorgen, „dass es mir und dem anderen gut geht“, stellte eine Anwesende fest. Obgleich es sich um inszenierte „Dominanz“ und – weil letztlich ja einvernehmlich – „Gewalt“ geht, kann „Dom“ seiner „Sub“ jedoch nur mit bewusster, überzeugter Dominanz geben, was sie braucht, sodass das Machtgefälle erfahrbar wird, nicht jedoch die Tatsache der Inszenierung. Allerdings wird dies nicht funktionieren, wenn jemand mit Wünschen und Bedürfnissen Anderer grundlegende Probleme hat und zu arrogantem Narzissmus tendiert, sodass er selbst das Gefühl hat, sich zu erniedrigen, wenn er auf Wünsche eingeht. Hier ist Souveränität auf dominanter Seite gefragt.
Zudem kann es auch in langjährigeren Beziehungen schwierig sein, weil „DS-ige Anteile“ sich abschleifen, durch grundlegend positive Erfahrungen, in denen eben einer für den anderen da war, und zwar ganz partnerschaftlich. Fürsorge für die Beziehung bedeutet dann aber auch sich um die entsprechenden Beziehungsanteile (der Dominanz oder Submission) selbst zu kümmern.
Die Teilnehmerin, die bei der Themensammlung die heutige Überschrift vorgeschlagen hatte, las noch gegen Ende die auf SM übertragene Definition des Arbeitsrechtes zum Thema „Fürsorgepflicht“ (siehe Download). Ein Anwesender warf noch die Frage auf, inwiefern SMler untereinander sich Fürsorgepflichtig sind; bei der Kommunikation in Foren und Chats, beim Covern anderer Mit-SMer oder wenn man auf Partys oder bei anderer Gelegenheit zweifelhafte Praktiken miterlebt. Bevor sich die Diskussion entfalten konnte, ob hier eine „Fürsorgepflicht“ die über die alltägliche, gesellschaftliche Pflicht zur Hilfeleistung hinausgeht und aus dem gleichen ethischen Grundsatz gespeist wird, wie die Notwendigkeit zur Zivilcourage, die motiviert bei einer Mobbingsituation oder S-Bahnschlägerei einzugreifen, wurde dieses an sich spannende Thema abgetrennt, um es gesondert zu Besprechen.

Veranstaltungsdaten:

Datum: 25.05.2012
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort:
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Ausfahrt Fellbach-Süd, dann Richtung Kernen-Rommelshausen, nach der Ortseinfahrt (Kernen-Rommelshausen) im ersten Kreisverkehr rechts in die Waiblinger Straße einbiegen, diese macht dann einen Linkskurve, danach in die Hauptstraße rechts einbiegen (unmittelbar nach der Bäckerei), der Straße folgen, das Gasthaus befindet sich an der linken Straßenseite

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS

Kontakt: info@SundMehr.de