Verändert langjähriges BDSM-Ausleben die Persönlichkeit (mit Psychologin aus der Szene)

Viele Menschen mit sadomasochistischen Vorlieben fragen sich, wie sie zu diesen gekommen sind. Auch im Gesprächskreis SundMehr haben wir darüber schon diskutiert. Genau die gleiche Frage haben sich auch schon Homosexuelle Mitbürger gestellt und bislang ist auch auf diesem Gebiet noch kein Gen für gleichgeschlechtliche Neigungen gefunden worden, was für SM wohl auch nicht zu erwarten ist. Zum Teil genetisch disponiert, zum anderen Teil sicher zur Ausprägung geworden, aufgrund günstiger Umweltbedingungen. wenn Umweltbedingungen aber die persönlichen Neigungen mit prägen, lässt sich auch die interessante Frage stellen, wie langjähriges Ausleben von BDSM die Persönlichkeit prägt.
Und was ist eigentlich unter einer "Persönlichkeit" zu verstehen? Ist "Charakter" das Selbe? Prägt es nicht auch einen Menschen, wenn er diese Neigung hat, sie nicht auslebt? Und welche Prägung ist zu befürworten und wo ist eine Veränderung verwerflich, egal, ob sie durch das ausleben, oder verdrängen eines sehnsüchtigen Wunsches hervorgerufen wird? Wie tief können diese Veränderungen gehen? Gibt es da einen Kern, der unveränderlich bleibt - bei dem, der lange und intensiv, vielleicht auch extrem, SM auslebt, wie auch bei dem, der seine Neigungen unterdrückt? Welche Grenzen sollte man im Blick haben, für seine Sub oder als Dom? Und an uns gestellt: bekommt der aktive Part mehr Macht, sein Gegenüber zu prägen, als umgekehrt? Ist macht wirklich Macht, wenn sie verliehen - und also wieder zurückgefordert - werden kann?
Über all diese Aspekte wollen wir uns, diesmal mit einer Szeneerfahrenen Psychologin, austauschen.

Rückschau

Zur Fragestellung, ob langjähriges BDSM-Ausleben die Persönlichkeit verändert, kamen 33 Teilnehmer am 27.09.13 zum Gesprächskreis SundMehr und brachten mit diesem Teilnehmerrekord den Raum an seine Kapazitätsgrenze.
Zu Gast war eine Psychologische Psychotherapeutin mit eigener Praxis – auch bezüglich SM – zu welcher der Kontakt über den Arbeitskreis SM und Christsein entstanden war. Die Traumatherapeutin behandelt nach verschiedenen Stationen in ihrer beruflichen Laufbahn vor allem auch Komplex traumatisierte Menschen. Die Beantwortung der Frage, ob „Macht“ wirklich Macht ist, wenn sie nur verliehen ist und also zurückgefordert werden kann, bot die Möglichkeit, latent nochmals auf den letzten Gesprächskreis mit dem Thema „Dominanz“ Bezug zu nehmen. Für die Psychologin ist Macht in diesem Fall keine wirkliche „Macht“ – die Möglichkeit sie zurück zu fordern, sei dagegen ein guter Kontrollmechanismus bei einvernehmlichem SM. Wenn Dom nur machen kann, was Sub ihm gestattet, sei ja die Frage, wer hier in Wirklichkeit die Macht habe. Doch Macht verändere auf jeden Fall den Menschen, was sogar eine neurobiologische Grundlage habe. Hier zitierte sie den Professor für Psychologie Ian Robertson: "Wie Macht den Menschen verändert." Der Bedarf nach Macht kann bei Menschen unterschiedlich sein, führte sie weiter aus. Hirnorganisch wirke sie wie eine Droge, weil ein körpereigener Botenstoff (Dopamin) ausgeschüttet wird. In diesem Sinne wirke sie auch berauschend und könne daher auch zur Sucht führen. Besonders im Wechselspiel mit dem männlichen Sexualhormon Testosteron sei dies relevant, wobei sie beiläufig anmerkte, dass Frauen deshalb auch gemeinhin als die besseren Führungspersönlichkeiten gelten: aufgrund des niedrigeren Testosteronspiegels seien sie weniger anfällig für einen "Machtmissbrauch".
Aus den Reihen der Anwesenden kam es hier zur Frage, ob Frauen insgesamt auch bei körperlicher Arbeit heftiger Zulangen könnten, als Männer, gegebenenfalls mehr Anstrengung vertrügen, ob sie mehr „Macht“ einsetzten, was jedoch nicht der Fall war. Es gäbe weltweite Studien, die zeigen, dass destruktive, psychische und körperliche Gewalt deutlich überwiegend von Männern ausgeübt würde. Die Biochemie im Kopf spiele auch beim Erleben von Schmerzen eine zentrale Rolle. So könnten heftige Schmerzen, gerade auch in Verbindung mit Angstgefühlen, wie sie bei Flag-Sessions auftauchen könnten, zur Ausschüttung von Endorphinen führen. So sei zu erklären, warum über längere Zeit, z.B. einen Monat, regelmäßig durchgeführter extremer SM förmlich zu Suchtsymptomen führen könne. Natürlich können auch Nahrungsmittel und Gewürze in den Stoffwechsel eingreifen. Aus ihrem Wissen, das sie zusätzlich als Ernährungsberaterin besitzt, berichtete die Fachfrau auch von der Wirkungsweise verschiedener Gewürze auf das Schmerz-, ggfs. auch Lustempfinden.
Zur Fragestellung, was man eigentlich unter „Persönlichkeit“ verstehe, erläuterte die Therapeutin, die „Big 5“ der Persönlichkeitsmerkmale, Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit, von denen heute gesprochen würde (mehr dazu unter http://de.wikipedia.org/wiki/Big_Five_%28Psychologie%29). Auf der Homepage https://www.uni-muenster.de/PsyWeb/ können Interessierte einen kostenlosen Persönlichkeitstest machen. Heute gehe man davon aus, dass 1/3 der Persönlichkeitseigenschaften disponiert, der Rest dann in der Kindheit bis zum Erwachsenenalter erworben würde. Diese Grundzüge der Persönlichkeit wären dann jedoch äußerst stabil und lediglich durch z.B. Traumatisierungen oder hirnorganische Prozesse zu verändern – zumindest laut ICD 10. Dennoch handle es sich bezüglich der Disposition nicht um ein Gottesurteil, denn Menschen könnten in gewissen Rahmen auch an sich arbeiten. Jedoch würde aus einem stark introvertierten Menschen niemals eine perfekte, offensiv und mutige Führungsperson, wie das sprichwörtliche „Alpha-Tier“.
Der Begriff „Charakter“ meine dabei fast dasselbe, würde aber, mit seiner Einteilung in „die vier Temperamente“ (die ihre Ursache im Zusammenspiel verschiedener „Körpersäfte“ haben) in der Psychologie heute nicht mehr verwendet.
Die inzwischen im Abgleich von Szene-Debatten mit der Situation im realen Leben geschulten Teilnehmer kamen an dieser Stelle selbstredend auf den Diagnoseschlüssel F 65.5 zu sprechen, der SM als Krankheit einsortiert, wobei die Expertin erneut bescheinigte, dass diese Diagnose praktisch kaum gestellt würde, sondern lediglich, sofern sich ein Leiden unter SM im Zusammenhang einer anderen Erkrankung (Depression, Selbstverletzung usw…) herausstellte. „Wer sein Leben aufgrund seiner SM-Neigung nicht so führen kann, wie er es will, könnte dann diese Diagnose bekommen“, führte die Psychotherapeutin aus. Sie ginge bei ihren Behandlungen immer davon aus, was der betreffende wolle. Sofern dies SM „loswerden “ sei, wäre dies ihr Auftrag, was eine kurze Diskussion aufkommen ließ, ob dies überhaupt möglich sei. Auch ein Teilnehmer bestätigte, dass es letztlich ja darauf ankäme, ob die sadomasochistischen Neigungen eines Menschen einfach in seinem „So-Sein“ begründet liegen, oder Ausdruck einer psychischen Erkrankung.
In letzterem Fall sei es doch ganz natürlich falsch, ihn darin zu bestärken. Im Gegensatz von bisher anwesenden szenefernen Psychologischen Fachleuten, ging die Traumatherapeutin durchaus davon aus, dass Mittels SM Missbrauchserfahrungen „reinszeniert“ werden könnten. Für die Frage, warum dabei ein traumatische Reiz geradezu gesucht, statt gemieden wird, was bei Traumatisierungen eigentlich der Fall sein müsste, konnte eine Teilnehmerin die Hypothese aufstellen, dass durch das Setting (Einvernehmlichkeit, Kennwort usw…) ja die an sich negative Erfahrung steuerbar würde. Sofern es aber zu einem Kontrollverlust käme, müsste die Session dann auch folgerichtig „kippen“. Ganz klar könne SM jedoch auch therapeutisch wirken; so zum Beispiel bei Menschen mit Borderlinestörung, die so die Möglichkeit hätten, damit Stress abzubauen, statt sich zu gefährden oder zu verletzen. Besser sei hier jedoch allemal die Bearbeitung des zu Grunde liegenden Traumas.
Kurzzeitig kam es zu einer Diskussion ob SM eine Sucht darstellen kann oder darstellt, sowie ob jede Form der Sexualität nicht suchtartige Züge habe. Gibt es positive Süchte, oder handle es sich grundsätzlich nur um ein Bedürfnis? Weil die Diskussion für die Fragestellung, ob SM die Persönlichkeit verändere, jedoch unerheblich sei, wurde dies nach berechtigtem Einwurf eines Teilnehmers zurückgestellt; relevanter sei doch, ob man durch langjähriges Ausleben sich oder andere gefährde. Festgehalten wurde letztlich, dass es zu einer Veränderung der Persönlichkeitsmerkmale, (Persönlichkeitsveränderung), aufgrund deren Stabilität, durch SM nicht kommen kann. Denkbar ist es jedoch, dass Persönlichkeitsmerkmale die längere Zeit brach lagen, mittels SM erst zum Vorschein kommen, sich entwickeln können, was dann nach außen hin als Veränderung der Persönlichkeit wirkt, aber eine Form der Selbstverwirklichung darstellen kann, sodass z.B. selbst bei 24/7 lebenden das Gefühl auf devoter Seite entsteht „jetzt passt es“. Selbst für machen SMer verlockende Zustände wie „Hörigkeit“ verpuffen in ihrer (vielleicht in der Illusion erwünschten destruktiven, aggressiven Qualität), wenn sie selbst gesucht werden. „Hörigkeit kenne ich nur als negativ“, meinte die Expertin. Wer selbst hörig sein will, wird nie hörig sein. Eine Teilnehmerin ergänzte, dass es ja vor allem dort schwierig würde, wo Menschen gar nicht merkten, dass sie hörig seien. Um einen entsprechenden Zustand jedoch in sadomasochistischem Sinne zu genießen, muss man ihn selbst wahrnehmen, was einer Hörigkeit widerspricht.
Selbstredend prägen jedoch die Persönlichkeitsmerkmale, die Art und Weise – den Stil – wie SM ausgelebt wird. Einige Teilnehmer wiesen hier darauf hin, dass dieser Aspekt der anfänglich getroffenen Aussage, dass Macht einen Menschen verändere ja latent wiederspräche. Menschen veränderten sich jedoch ständig, erläuterte die Expertin – und nicht jede Veränderung sei mit einer Persönlichkeitsveränderung im klinischen Sinne gleichzusetzen. Persönlichkeitsveränderungen bedürfen einer 2 jährigen Dauer und verschiedenen Diagnosekriterien. Erneut betonte sie, dass nur langanhaltende Gewalterfahrungen (wie beim „Fall Kampusch“) tatsächlich die tief verwurzelten Persönlichkeitsmerkmale verändern könnten.

Download: http://www.sundmehr.de/download/Veraendert-SM-die-Persoenlichkeit.pdf

Veranstaltungsdaten:

Datum: 27.09.2013
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort:
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Ausfahrt Fellbach-Süd, dann Richtung Kernen-Rommelshausen, nach der Ortseinfahrt (Kernen-Rommelshausen) im ersten Kreisverkehr rechts in die Waiblinger Straße einbiegen, diese macht dann einen Linkskurve, danach in die Hauptstraße rechts einbiegen (unmittelbar nach der Bäckerei), der Straße folgen, das Gasthaus befindet sich an der linken Straßenseite

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS

Kontakt: info@SundMehr.de