Das Thema Öffentlichkeitsarbeit spaltet die Leute in der SM-Szene wie kaum ein zweites. Nicht verwunderlich, steht es doch meist im engen Zusammenhang mit einem
persönlichen Outing - irgendjemand muss ja schließlich mit seinem Namen in die Öffentlichkeit gehen. Und dies - das persönliche Outing - soll bitte sehr Privatsache
bleiben und nicht durch die Ambitionen eines öffentlichkeitsarbeitsbegeisterten SMer plötzlich fremdbestimmt werden. Und weswegen brauchen wir überhaupt
Öffentlichkeitsarbeit? Es reicht doch, sich beim Stammtisch, bei einer (halb-)öffentlichen SM-Party oder in der Online-Community zu sehen. Und der Nachbar muss ja
schließlich nicht wissen, was ich in den eigenen vier Wänden mache!
Ganz anders sehen das viele andere: Immer noch haben wir Schwierigkeiten Räume für SM-Events anzumieten, Banken haben ein Problem damit, ein Konto eines SM-Vereins
zu eröffnen, niemand will eigentlich mit SMern etwas (öffentlich) zu tun haben. Das kann sich nur durch Öffentlichkeitsarbeit ändern! Nur wenn in der Öffentlichkeit
SM als eine der vielen Möglichkeiten sexueller Entfaltung akzeptiert wird, können die Vorurteile langsam abgebaut werden. Wir wollen uns ja schließlich nicht ein
Leben lang verstecken müssen!
Szenenwechsel (im doppelten Sinne des Wortes): Auch in der schwul-lesbischen Szene gab und gibt es diese Diskussionen. OK, zugegeben: Es ist möglich, als
heterosexuelles SM-Paar "unerkannt" in der großen Wohnsiedlung zu leben - dies stellt sich bei einem homosexuellen Paar schon anders dar. Aber sind nicht die
Triebfedern der Angst vor dem Outing und den befürchteten Konsequenzen und Sanktionen die gleichen? Hat nicht auch der schwule Abteilungsleiter die gleiche Angst
aufgrund seiner sexuellen Präferenz in der Firma gemobbt zu werden, wie es der SMige IT-Consultant hat?
Zu diesem Thema haben wir diesmal einen besonderen Gast eingeladen: Joachim Stein, ein Urgestein aus der Stuttgarter Schwulenszene. Er ist Vorstandsmitglied des
Vereins "Weissenburg e.V." (http://www.zentrum-weissenburg.de ), fast 25 Jahre mit dem Thema Öffentlichkeitsarbeit in der schwul-lesbischen Szene vertraut,
Vorsitzender in der "IHS - Aktivgruppe Homosexualität Stuttgart" (http://www.ihs-ev.de), aktiv im Arbeitskreis Lesben und Schwule in der ÖTV
(jetzt verdi) http://regenbogen.verdi.de und in vielen anderen Initiativen und Organisationen. Zuletzt zu Gast beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten.
17 Männer und Frauen mit sadomasochistischen Neigungen trafen sich am 23.05.14 im Gesprächskreis SundMehr, um sich über Parallelen zur Schwul-Lesbischen-Szene rund um das Thema "Coming Out und Öffentlichkeitsarbeit" zu machen. Als fachkundiger Gast war dazu Joachim Stein, Urgestein und Aktivist aus der Stuttgarter schwul-lesbischen Szene und Vorstandsmitglied des Zentrums "Weissenburg e.V." (http://www.zentrum-weissenburg.de ), wo bereits zwei Mal das Sommertreffen verschiedener SM-Stammtische aus Stuttgart und den angrenzenden Gemeinden stattfand, unter Beteiligung des Gesprächskreises SundMehr.
In der Vorstellungsrunde stellte sich heraus, dass jeder der Anwesenden sich für aufklärende Öffentlichkeitsarbeit aussprach -- jedoch außer Joe Wagner keiner sich vorstellen konnte, Namen und Gesicht dabei zu zeigen, was die Handlungsmöglichkeiten natürlich klar einschränkt. Entsprechend den Gepflogenheiten unter SMern, zwischen aktiv und passiv zu unterscheiden, waren einzelne auch eher zu "passiver" Öffentlichkeitsarbeit bereit. Andere fragten sich, ob ihr Bekenntnis zu SM vor Freunden und Bekannten, sowie schon das durchblicken lassen, der eigenen Neigung bei einem Flirt, unter Öffentlichkeitsarbeit zu betrachten sei.
Dabei ist das Gefühl anders, als die Mitmenschen zu sein, Diskriminierung oder offene Anfeindung zu erleben, wenn dies ungewollt an die Öffentlichkeit dringt vergleichbar, obgleich die Rechte für die Homosexuelle schon zum Teil recht erfolgreich eingetreten sind, andere sind, betrachtet man den Kampf für die Gleichstellung homosexuell liebender Partner, hinsichtlich des gesamten Bereich des Familienrechts. Dies Problem stellt sich bei Sadomasochisten in weit geringerem Ausmaß, geht es hier ja um das, was im Rahmen bürgerlich empfundener Normalität im Schlafzimmer stattfindet -- zumindest in der Regel.
Joachim Stein berichtete in seinen Ausführungen von der Situation in der Schwul-Lesbischen Szene: Ebenfalls sind hier Grabenkämpfe zu verzeichnen, bei denen eine Gruppierung der anderen vorwirft, Schuld an gesellschaftlichen Vorurteilen zu tragen. "Wer einer Randgruppe angehört, möchte immer maximale Normalität", erläuterte Stein den Anwesenden. Darum kann die Assoziation von außenstehenden, mit der Andersartigkeit anderer bedrohlich wirken.
Auch Platzhirschverhalten, wie Vorwürfe, man könne sich nicht engagieren, weil ja schon andere in der Region so präsent seien und alles dominierten, wären bekannt. Selbst riet er hier zu Gelassenheit, berichtete aber auch von seiner Entschiedenheit, wenn Ergebnisse seines Engagements oder seine Person bei Ansprechpartnern, auf die er angewiesen ist, in ein schlechtes Licht gerückt würden. Entsprechendes ist auch zwischen SMern vorzufinden, die die SM-Szene eher als eine der Erotik und Intimität vorbehaltenen Sphäre betrachten, die im kommerziellen Fall auch durchaus mit Rotlicht assoziiert werden darf. Andere betrachten ihr Engagement eher politisch, als Kampf für Aufklärung und gegen Vorurteile, und unterscheiden stark zwischen dem Gang auf eine Party und der Organisation eines Stammtisches, und wollen sich das Recht "für" Ihren Stammtisch zu sprechen, ob und in welcher Weise Öffentlichkeitsarbeit geschehen könne, selbst nicht nehmen, weil es keinerlei Mandat auf Grundlage halbwegs demokratischer Entscheidungswege gibt. So sind Meinungsverschiedenheiten vorprogrammiert, die Frage bezüglich Öffentlichkeitsarbeit ist nur: Wer macht's?
Einen Unterschied, zwischen der SM-Szene zur Schwulen-Szene sah er darin, dass jemand mit homosexuellen Neigungen sich irgendwann mal entscheiden müsse, wie er sich definiert. Ob die Suche nach Identität hierbei einen grundlegenden Unterschied macht, war unter den Teilnehmern strittig. Während ein Anwesender meinte, gerade in den Biographien junger SMern, zeigten die großen Selbstzweifel und Irritationen über die eigenen Neigungen, dass es sich hierbei durchaus, um Probleme, rund um die Identität ginge, von denen diese -- auch durch Aufklärung, sogar im Rahmen der Bildungsplanreform -- besser befreit würden, um ihren Liebesstil ausprägen zu können, statt langjährig davon irritiert zu sein und sich ausschließlich in Subkulturen flüchten zu müssen. Andere Teilnehmer, sahen darin eher den Vergleich von Äpfeln mit Birnen, handle es sich bei SM doch um eine Sexualpraktik, nicht um eine grundlegende Orientierung, was erneute Diskussionen auslöste; über die Frage, wie Umfassend SM einen Menschen prägt.
Ob er zum Coming-Out raten würde, mochte der Gast nicht sagen. Fakt sei, dass es Berufsgruppen gäbe, für die dies eben eine besondere Hürde darstelle. "Noch nirgends habe ich so viel Ablehnung und Vorurteile erlebt, wie in Baden-Württemberg," meinte eine Teilnehmerin und versuchte später, den Grund in Mentalitätsunterschieden zwischen den Schwaben, Hessen und Bayern zu finden, was dann einem anderen Teilnehmer bei weitem zu klischeehaft war. Bei der Hinterfragung, in welcher Weise sie Ausgrenzung und Vorurteile erlebt hat, kamen dann auch eher Antworten, die auf das Erlebnis von Ängsten und Befangenheiten auf Seiten des betroffener schließen ließen, statt auf Vorurteile und Ausgrenzung durch die Gesellschaft. "Ich habe den Eindruck, dass dies bei SMern gerne verwechselt wird", meinte Joe Wagner und berichtete von dem Zitat einer Aussage von ihm, die in den Kontext einer starken Warnung vor der Reaktion, gerade in ländlichen Gebieten stand, wovon gerade er nichts geschrieben habe, und auch nichts merke. (C. Brandhursts "ultimativem BDSM-Einsteigerbuch" KINKY SEX - Die etwas härtere Nummer, Heyne, 2011, S. 66). Dennoch sei nicht zu leugnen, dass es zu Problemen kommen könne, wie jüngst bei einer Angestellten in einer sozialen, kirchlichen Einrichtung in Hamburg, die aufgrund des Auftauchens privater, allerdings recht harmloser Bilder, zunächst vom Dienst suspendiert und dann, nach arbeitsrechtlicher Auseinandersetzung, in eine andere Abteilung versetzt wurde. (Siehe: http://www.schlagzeilen.com/de/news/2804.htm )
Andererseits gäbe es durchaus Fälle von Vorkämpfern, wie Pfarrern, die mit ihrem Lebensgefährten ins Pfarrhaus ziehen, dann eine Rüge vom Oberkirchenrat erhielten, dann aber erlebten, dass ihre Gemeinde sich für sie stark machte. Ebenfalls gäbe es auch in der oberschwäbischen Provinz Politiker konservativer Parteien, die sich zu ihrer homosexuellen Lebensweise bekannten und vielleicht nicht dennoch, sondern gerade wegen ihrer dadurch erwiesenen Authentizität gewählt wurden. Die Wahrheit läge in der Mitte und man könne niemand zum Coming-Out zwingen, meinte Stein.
"Wenn ich mich zu SM bekenne, sage ich noch nichts darüber, was genau in meinem Schlafzimmer passiert", meinte Joe Wagner im Laufe der Diskussion. Auch bei Heterosexuellen könne man sich ja Gedanken machen, wie da was im Bett funktioniere, wenn ein besonders großer Mann mit einer kleineren Frau zusammen ist, oder starke Gewichts oder Altersunterschiede bestehen... "Vielleicht muss man von einem Minimal- und einem Maximal-Outing sprechen, denn wenn man nicht geoutet ist, kann man sich auch nicht engagieren." Allerdings bedürfe es auch der Zustimmung der Betroffenen, die auch durch reine Anwesenheit bei öffentlichkeitswirksamen Gelegenheiten geschehen könne, ohne, dass Bild und Name in der Zeitung erscheint. Noch immer verfolge ihn, mit lachenden und weinenden Auge das Erlebnis seiner ersten Teilnahme an einem CSD in den 90er Jahren, berichtete Stein. Unter dem Motto "Wir sind viele" war die vergleichsweise kleine Schar von 200 Lesben und Schwulen durch Konstanz gezogen.
Die Frage, wie weit jeder gehen wolle, müsse jeder sich selbst beantworten. Gut sei es jedenfalls, wenn diejenigen, die voraus gehen, andere ermutigen können, zu ihrem Anderssein zu stehen.
Datum: | 23.05.2014 |
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