Thema ist diesmal: "Wie viel Ernst ist im Spiel?" - wenn er gerade noch vor ihr und unter ihrem herablassend, beobachtenden Blick kniet und beide dann Stunden später, nach der Session, auf Augenhöhe plaudernd, Händchen haltend und so vertraut wie auch glücklich davon schlendern, oder wenn sie von ihm eine Schlampe geheißen wird, die es verdient hat, den Rohrstock zu bekommen, weil sie ihm unerlaubt in die Augen sah, im "realen" Leben aber taffe Geschäftsführerin der eigenen Firma ist und er der fünfzehn Jahre jüngere Berufsanfänger der sie auf dem letzten Stammtisch mit anschließender Spielparty kennen gelernt hat.
Wie können die Leute ernst genommen werden, wenn sie zwischen so seltsamen Zuständen - zwischen Erniedrigung und Dominanz, umschalten. Spielen die sich bei der Session nicht nur was vor und wie können sie während der Session den realen Status verdrängen? Oder sind diejenigen, die Dominanz und Unterwerfung spielen gar keine richtigen SMer. Viele SMer sträuben sich gegen den Begriff und verwahren sich dagegen "nur" zu spielen. Dabei "spielen" sich vor unseren Augen, in unserem Beisein, unwirkliche Szenen ab, auf Partys oder dem Vernehmen nach im Schlafzimmer. Wird da mit Gefühlen gespielt? Aber dann macht das uns noch Spaß! Wann fühlt sich das Gut an, wann ist das plötzlich kein Spiel mehr?
Aber schließt sich "Ernst" und "Spiel" aus? Was macht bei SMern das Spiel zum Spiel - oder wenn sie sich nicht als spielend betrachten wollen: wie Ernst ist es ihnen, mit ihrer Wirklichkeit? Was macht für uns, bezogen auf SM das Spiel zum Spiel?
22 Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Gesprächskreises SundMehr, trafen sich am letzten Freitag im Juni 2014, um über die Frage zu sprechen, wieviel Ernst für sie im Spiel ist, wenn sie ihre sadomasochistischen Vorlieben aus den verschiedensten Ecken des Spektrums des BDSM ausleben.
Fast bei allen stellte sich schon in der Vorstellungsrunde heraus, dass es sich für sie um ein Spiel handle, jedoch mit ernstem Hintergrund und das Spaß machen solle. Einige fanden die Polarität Spiel und Ernst unpassend und wollten eher von Leidenschaft sprechen und eine Teilnehmerin lehnte den Begriff des Spiels für sich ganz ab, weil sie "in die Tiefe" wolle. Auch die Erfahrung war zu finden, dass es auf dominanter Seite nicht leicht sei, es beim Spiel zu lassen - weil gerade der devote Partner dies nicht wolle, lies erkennen, dass sich weite Teile der Diskussionen um die 24/7 Variante des Auslebens sadomasochistischer Neigungen, wenn nicht gar um "total power exchange" (TPE) drehen würden. So stellte auch ein Anwesender gleich bei seiner Vorstellung, die Frage, inwiefern dies realistisch möglich sei, weil er den Eindruck habe, dass die Beteiligten sich oft um Haaresbreite einem psychiatrischen Behandlungsbedarf nähern.
"Auf einer juristischen Schiene", erklärte ein Teilnehmer gleich zu Beginn "bewegt man sich im Bereich eines Spiels, denn schließlich geht alles auf einvernehmlicher Ebene ab." Ernst würde es dann, wenn die Subs dabei in eine Situation der Willenlosigkeit kommen, wodurch die Verantwortung des dominanten Parts für den Sub selbstverständlich ansteige. "Das zeigt den ersten Hintergrund, denn der Aktive muss immer die Kontrolle behalten!"
Vor allem im Bereich des DS handle es sich dann wieder um kein Spiel, denn das funktioniere nur, wenn das Empfinden der Beteiligten gleich ist. Emotion pur käme da zum Vorschein. Doch sei das ganze Neigungsabhängig und die Variante "Dominance and Submission" (DS) ginge daher nur bei 24/7: wenn der Sub mache, was Dom wolle, erlebe er ja letztlich eine Situation, die seinen Neigungen entspräche.
Ein Teilnehmer wusste von seiner Erfahrung, dass eine Sub zu ihrem Herrn auf keinen Fall sagen könne, er solle doch bitte mal den Müll rausbringen, während ein neu anwesendes Paar berichtete, dass es eben doch auch Augenhöhe in Alltagsfragen gäbe; wenn es darum ginge, den Flur zu streichen, würde das gemeinsam beratschlagt.
Das Problem sei, dass DS auch in eine Hörigkeit abkippen könne, meinte ein Teilnehmer, der auf mehrere Jahre DS-Erfahrung zurückblicken konnte.
Relevant schien es an dieser Seite, den Begriff "Spiel" zunächst zu definieren. Dabei stellte sich heraus, dass Spiel und Ernst durchaus kein Gegensatz sein muss, wie ein Anwesender der auch eher unerotischen Gesellschaftsbrettspielen leidenschaftliche Begeisterung entgegenbrachte. Weiter präzisierte der Moderator, dass im deutschen Sprachgebrauch "Spiel" sehr allgemein eingesetzt wurde, während im Anglo-Amerikanischen Bereich zwischen "play" (dem kreativen spielerischen Zeitvertreib) und "game" (dem sportlichen Wettkampf, bei dem es Sieger und Verlierer gibt) unterschieden wird. Selbst das Wettspiel um Geld, wird als "gambling" bezeichnet, wie der spielleidenschaftliche Besucher wusste.
Gemein sei all diesen Varianten, dass sie einen definierten Rahmen haben: wer sich verkleidet und einen Text von Schiller rezitiert, ist nicht automatisch "Wilhelm Tell" - auf einer Bühne kann er diesen jedoch verkörpern. Ein weißer Strich auf der Straße, über den ein Ball rollt bedeutet nicht automatisch, dass dieser im Aus ist. Und wer Ronaldo sagt, er habe jetzt gewürfelt und würde ihm nun gerne drei Erz und zwei Weizen geben, um sich eine Stadt zu bauen, bekäme vielleicht berechtigterweise den Vogel gezeigt und dafür ein Tor geschossen, während ihm dies egal sei. Spiel definiert sich danach, ob durch den gegebenen Rahmen eine andere Wirklichkeit konstruiert wird, als die für den Alltag gültige - und Missverständnisse tauchen auf, wenn sich die Definitionen für das laufende Spiel voneinander entfernen.
In diesem Sinne markiere auch SSC, dass das, was man nun tue vielleicht nicht alltäglich" sei, sondern noch gerahmt, auch wenn im Alltag Schmerzen körperlich, und Demütigung psychisch weh tun, warf einer der anwesenden Initiatoren ein. Und ein Spiel sei etwas, was einen Beginn und ein Ende hat, ergänzte ein Teilnehmer.
Dennoch kann ein Machtgefälle, das beim BDSMigen Spiel da sei, auch noch hinterher vorhanden sein, war anderen wichtig. Die Bezeichnung als "Spiel" werte die vorhandene Emotion nicht ab, meinte eine Besucherin. Ein Schauspieler wäre nicht gut, wenn seine Rolle ihn nicht berühre. Etwas von dem Dargestellten, müsse er in sich tragen, um die Rolle authentisch rüberbringen zu können.
Als von den anwesenden, überzeugten DSlern beim Begriff des Rollenspiels Widerspruch kam, wurde die Diskussion hitziger, denn manchem anderen schien es hier, als würde gehäuft eine Wertehierarchie aufgestellt, die zwischen richtigem und echten DS unterschiede, was nicht die Absicht der 24/7 lebenden Besucher war. Bei aller Skepsis konnte auch die Wunschvorstellung, der Erotik bei dieser Variante einen Hauch des Andauerns im Alltag nachvollzogen werden, denn "alle Lust will Ewigkeit" - wie Friedrich Nietzsche schon feststellte. Über die Frage, ob dies eine Wunschvorstellung sei, die am Alltag scheitern muss, herrschte aber Uneinigkeit. "Es kann ja nicht schiefgehen, wenn ein Partner die eine Neigung hat und der andere die entgegengesetzte" war ein Teilnehmer überzeugt. Tabus müssten dennoch abgesteckt werden und die Neigungen entwickelten sich dann so weiter, Schritt um Schritt.
Doch obwohl der Begriff "Spiel" eher auf allgemeine Akzeptanz traf, "weil es eben keinen besseren gibt", schien es so, als würde dieser beim Zusatz von "Rolle" eher abgelehnt. Dabei bedeute dies doch, nicht nur in eine Rolle zu schlüpfen, sondern diese auch zu sein. DS gäbe ja auch nicht nur im Bereich des Sadomasochismus, sondern auch in anderen, gesellschaftlichen Erscheinungsformen.
Wichtig schien es bei der gesamten Diskussion, dass nicht nur genau zugehört wurde, sondern jeder auch sein Statement möglichst präzise formulierte. Schließlich wollte niemand sich seine Empfindung absprechen lassen. Und gerade die Erwähnung "Spiel" schien bei manchen die Assoziation zu wecken, als würde anderen etwas vorgespielt, was nicht empfunden wird. Dabei könne auch wer kurz spielt authentisch sein, erklärte eine Anwesende. Schließlich reiche manchmal der Griff in den Nacken, oder eine Geste, um eine erotische Situation einzuleiten. Anderen Anwesenden fällt gerade dieser schnelle Switch, vom Alltag ins erotische Spiel, nicht so leicht.
Am Ende bleib die Feststellung, dass es sich nicht um die Polarität Ernst und Spiel handle, sondern Spiel und Wirklichkeit. Denn "der Dominante ist nicht darum der Dominante, weil er selbst so schön dominant ist, sondern weil der Partner die Dominanz in ihm erkennt und zugesteht", wie ein Teilnehmer am Ende zusammenfasste.
Datum: | 27.06.2014 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
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