Nachdem wir uns vor fünf Jahren dem Thema "SM und Kunst" bereits bei einem Vortrag genähert haben, wollen wir uns erneut damit beschäftigen:
Moderne Kunst will oft provozieren, während die klassische Kunst eher die ästhetische Abbildung der Realität bezweckte, die vom Meister dem Schüler vermittelt werden konnte. Heute wo Performances auch ganz selbstverständlich zur Kunst gehören und vor allem der individuelle, subjektive Ausdruck einer Idee, eines Gefühls zum Bestandteil wird (der eben von anderen Schülern des Meisters nicht erlernt werden kann), leiden Künstler, wie Marina Abramovic sogar für die Kunst, wie zumindest die Wochenzeitung die Zeit im November 2012 in einem Artikel (hier noch zu lesen) zum Dokumentarfilm über deren Projekt "the artist is present" titelte. Die Ausstellung "No Pain no Game" wandert durch die Museen für Kommunikation in Europa und gastierte nach Berlin, bis September 2016 in Nürnberg (Website der Ausstellung). Der Besucher spielt am Computer oder Flipper, während seine Fehler mit echten Schmerzen - Hitze, Stromstöße - bestraft werden. Manche Arbeiten von Jean Tinguely [Wikipedia Artikel] und Niki de Saint Phalle [Wikipedia Artikel] wecken Assoziationen aus dem Bereich der Fetisch-Szene, besonders, wenn sie sich explizit mit Sexualität beschäftigen. Wird Leiden zur Kunst oder der existenzielle Ausdruck von Sexualität?
Vielleicht ist auch manche extreme Selbsterfahrung, die bei BDSM gesucht wird, in ihren Facetten schon Kunst, wenn nicht sogar Lebenskunst. Und falls ja: ist sie das nur in meiner Vorstellung, wenn ich mich selbst perfekt inszenieren kann, oder auch aus sich selbst heraus? Bewirkt die Darstellung an der Öffentlichkeit erst, dass etwas zur Kunst wird oder das Bewusstsein, des "Künstlers"?
Wo ist mir Sadomasochismus, oder daran anmutendes in den verschiedenen Bereichen der Kunst bereits begegnet, obwohl damit nicht primär SM oder Sexualiätt dargestellt werden sollte? Auch als Abbildung oder Skulptur? Wo begegnet mir Kunst im Sadomasochismus?
Beispiele oder Gegenbeispiele, in Form von Abbildungen oder mitgebrachten Exponaten über die wir ins Gespräch kommen können, werden den Abend anschaulich und Interessant gestalten. Jeder ist herzlich eingeladen, etwas mit zu bringen!
Um sich mit dem Thema "SM und Kunst" auseinander zu setzen, trafen sich 13 Besucher des Gesprächskreises SundMehr am 28. Oktober. "Sexualität findet irgendwo statt. Und nur in der Literatur und der bildenden Kunst kann sie explizit repräsentiert werden", stellte ein Teilnehmer gleich in der ersten Runde, die mit der Frage, wo den Anwesenden Sadomasochismus in der Kunst schon mal begegnet ist, verknüpft wurde, klar. "Man wird sicher keine sadomasochistische Musik finden, sofern SM nicht im Text, der an sich ja Literatur ist, dargestellt wird."
Für mehrere der Anwesenden stellte Bondage teils während der Ausführung, aber auch in ihrem Ergebnis, Kunst dar. Ein Besucher berichtete von einer ähnlichen Ausstellung, wie der im Einladungstext beschriebenen "no pain no game", bei der er im Stuttgarter Haus der Geschichte schon vor Jahren eine "Painstation" gesehen habe, vor der sich begeisterte Besucher versammelten, um Computerspiele zu spielen, bei der jeder Fehler mit realen Schmerzen aus Hitze, Stromschlägen oder kleinen Peitschenschlägen über den Handrücken bestraft wurden (siehe ein Wikipedia Artikel hierüber).
Die Art, wie manche sich auf großen Erotik-Messen in barocke Kleider zwängen oder sich als Pony verkleiden lassen, stellte für eine Teilnehmerin schon Kunst dar, während ihr Partner es rein subjektiv empfindet, was für ihn schön ist und auf eine nähere Definition des Kunstbegriffes verzichtet. Ein Teilnehmer berichtete, dass bei "Ausstellungen" vor allem an diverse Folter-Museen denkt, wo einige Besucher eher einen betroffenen, andere einen angeregten Gesichtsausdruck zu scheinen haben.
Eine zufälligen Straßenszene in Berlin wurde geschildert, bei der eine Straßenkünstlerin eine bondage-artige Performance zeigte. Was einen daran anspräche, würden manche Mitbürger halt schwer verstehen.
Bondage war für einen Anwesenden eher etwas Handwerkliches. Er wunderte sich, was daran für andere Kunst sei. Er selbst denke dabei an Musik, die ihn bei einer Session begleite. Zudem fotografierte er selbst auch ästhetische Akte, die jedoch nicht speziell sadomasochistische Motive haben mussten.
"Kunst ist, was die Seele bewegt", meinte eine Besucherin. Schon der menschliche Körper an sich sei für sie ein Kunstwerk. Mit einem augenzwinkernden Verweis auf das letzte Treffen, stellte ihre Nebensitzerin fest, dass es für ihre Töchter schon eine Kunst sei, sich mit ihrer Mutter nicht zu blamieren. Mit ernsthafteren Unterton, meinte sie, dass auch ohne direkt Latexfetischistin zu sein, manche Werke eines ihr bekannten Hobby-Latexschneiders, für sie etwas sehr künstlerisches hätten.
Im Kontrast zu den vorherigen Statements stellte dann die nächste in der Runde fest, dass "Kunst" ja nichts mit Ästhetik zu tun haben müsse, wie das Beispiel von Marina Abramovic zeigte, deren Kunst vor allem auch verstöre. Der Betrachter interpretiere etwas, ohne zu wissen, ob sein Verständnis in der Absicht des Künstlers lag.
Zum Thema "Foltern" berichtete jemand, dass er auf Partys schon Situationen gesehen habe, die er selbst niemals erleben wollte. Ebenso sei für ihn manche bei Wilhelm Busch beschriebene Situation ansprechend, die auch anderen in der Runde SMige Assoziationen kommen ließen: Wie Max und Moritz am Ende ein einen Sack eingenäht zu werden, in Brotteig verschlossen zu werden. sieht man von der Kleinigkeit ab: dass der Vorgang des Backens wohl weder als "Safe" noch als "Sane" zu bezeichnen wäre. Auch im Jazz-Song "fais moi mal Johnny" (hier auf youtube) von Magali Noel hatte ein Teilnehmer SMige Anspielungen entdeckt, die jedoch im Text irgendwann kippen. Auch bei einem anderen Lied, das ihn bezüglich seiner erotischen Neigungen ansprach, hatte er den Fehler gemacht, sich den Text zu übersetzten. Als sich herausstellte, dass es um starken Liebeskummer ging, war die Inspiration durch die Musik für ihn verflogen. Zum Thema Musik wurde dann diskutiert, ob bei Bachs 1. Satz aus dem Brandenburgischen Konzert Nr. 3 (hier auf youtube) gegen Ende ein männlicher Orgasmus herausgehört werden kann.
Es stand fest, dass der Kunstbegriff getrennt vom eigenen Verständnis und Geschmack benutzt werden muss. Als mögliche Definition wurde die von Erich Fromm vorgeschlagen, wonach der Mensch sich produktiv in seiner Umwelt ausdrücken will. Demnach ist im Grunde nach jeder Mensch, der seine Gedanken und Gefühle schöpferisch umsetzt ein Künstler - egal ob er Erfolg hat, oder nicht.
"Der Künstler hat das Bedürfnis, etwas kreativ zu erschaffen", stelle eine Anwesende dazu fest, worauf eine andere meinte, Kunst sei es, wenn Menschen das Erschaffene dann auch gut finden. Entsteht Kunst also erst im Auge des Betrachters? Auch bei der Begegnung zwischen Menschen sei dies der Fall, wurde aus der Runde geäußert. Es gibt immer einen Menschen, der den anderen gut findet, was manche einsame Seele trösten mag. Im Gespräch wurde Kunst auch als rein handwerkliches Geschehen verstanden, wobei dies einem sehr klassischen Kunstbegriff nahekommt, bei dem die Kunst eben vom Meister an den Schüler weitergegeben werden kann. "Das ist, wie wenn jemand sagt, der Mensch besteht zu 60% aus Wasser, zu 17 % aus Fett und 17% aus Eiweis, plus 6% übriger Bestandteile. Was der Mensch ist, hat man mit so einer Definition immer noch nicht verstanden", war dann der Einwurf. Kunst also doch mehr: nämlich die Idee, die im Kopf des Künstlers bestand, bevor das Kunstwerk entstand. Eine modernere Verwendung des Kunstbegriffs trägt dem Rechnung, denn Kunst ist dabei der Subjektive Ausdruck, die Performance im Dialog mit dem Betrachter.
Streckenweise wurde an diesem Abend wie in einem gewöhnlichen Volkshochschulkurs über Kunst gesprochen, ohne dass zwingend feststellbar war, dass das Gespräch in einem Kreis interessierter SMer stattfindet.
Ist dann Kunst, wenn Harmonie entsteht, zwischen dem, was der Künstler ausdrücken will und was der Betrachter versteht? Wäre dies nicht eine passende Analogie zum SMigen-Geschehen, bei dem das, was der Aktive machen will, auch beim Passiven entsprechend ankommen sollte? Oder zumindest - der Spur nach? So wäre eine Session als Ausdruckskunst zu verstehen, doch der Gedanke konnte sich in der Runde nicht durchsetzen. Denn wieder wurde Abramovic's teilweise verstörende Performances zitiert. Bildnerische Darstellungen aus Sadomasochistischen Online-Communities wurden dagegen gehalten, wobei auch über die ästhetische Qualität gestritten wurde, wie auch über die der Abbildungen in den Schlagzeilen. Gegenvorschläge aus Bildbänden, über das was Anwesende anspricht, waren allerdings subjektiv gefärbt und über Geschmack lässt sich einfach nicht streiten. Eine Besucherin stellte ein eigenes Gemälde vor. In einem Akt aus dem Internet hatte sie sich so sehr wiedergefunden, dass sie das Bild einer entspannt, selbstvergessen und lustvoll daliegenden Frau unbedingt in Öl nachmalen musste - und sich sehr beherrschte nicht Halsband und Manschetten hinzuzufügen, da es in ihrer Wohnung auch von familiären Besuchern und Gästen zu sehen war; ein ganz praktischer Dialog zwischen Künstler und Betrachter, bei der die Betrachterin selbst zur Künstlerin wurde und versucht war, nach ihrer eigenen Idee zu ergänzen.
Am Ende blieb es - sofern nicht ganz klar und absichtlich, sadomasochistische Szenen abgebildet werden - Interpretations-Sache, ob in einem Werk SMige Züge gesehen werden.
Datum: | 28.10.2016 |
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Uhrzeit | 20:00 Uhr |
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