Planung oder Bauchgefühl?

"Pläne sind die Träume der Verständigen" hat der österreichische Schriftsteller und Arzt Freiherr von Feuchtersleben gesagt. Und so planen wir den Urlaub, den Umzug, berufliche Projekte - mancher sein Eigenheim. Aber den Sex? Erst das Bauchgefühl ermöglicht doch die volle Entfaltung der Spontaneität und Reaktion auf den anderen, sodass es der einzig wirklich wahre Wegweiser zu echter erotischer Begegnung ist! Das "Drehbuch" das mancher Sub seiner Herrin zur Abarbeitung reichen möchte und damit die Rollenteilung als reines Schmierentheater entlarvt, degradiert sie zur reinen Wunscherfüllerin. (Machen Frauen das eigentlich auch?) Und doch gibt es ein ganzes Kochbuch, mit Rezepten für SM-Sessions das inspirieren soll, zum Weiterentwickeln einzelner Ideen oder ganzer Szenarien.
Im Alltag macht mancher die Erfahrung, dass die Verbindung, die es laut Fahrplan geben sollte, plötzlich ausgefallen ist, sodass er auf ein Ersatz-Verkehrsmittel ausweichen muss oder vorläufig gestrandet ist, zwischen seinen Welten. "Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall!" würde Friedrich Dürrenmatt wohl dazu sagen. Wann und wo macht es Sinn, frei nach Bauchgefühl zu agieren? Gibt es Aktionen, die Planung unumgänglich machen und dennoch im Moment so authentische, überraschende Situationen entstehen lassen, als wären sie ein Blitzlicht aus dem Paradies?
Kann der dominante Part überhaupt den Ablauf planen oder eine Struktur setzen und wie geht man dabei vor? Oder liegt die Planung doch auch beim Submissiven? Kann der überhaupt was planen? J. W. Goethe könnte man dazu aus dem Frühlingsorakel zitieren: "Leben ist ein großes Fest, wenn sich's nicht berechnen läßt."
Was ist der Unterschied einer Session, die penibel durchgeplant wird, zu einer, die ganz spontan geschieht? Macht es einen Unterschied, ob sich das Geschehen eher im Bereich der Bondage, eines Dominanz-Submission-Spiels oder einer reinen SM-Session abspielt?

Rückschau

Dreizehn Teilnehmer des Gesprächskreises SundMehr trafen sich am 27. September, um sich darüber auszutauschen, ob ihnen Bauchgefühl oder Planung bei einer Session wichtiger ist.
Bei der Vorstellungsrunde bekannte sich die Mehrheit direkt oder indirekt zum Bauchgefühl, wobei bei Aktiven eher der Begriff der "Grobplanung" fiel, auf passiver Seite gar der der Planlosigkeit. Nicht unberücksichtigt blieb, dass dies auch vom Partner, dessen Tagesform oder der Vorerfahrung abhängt. Eine Teilnehmerin meinte, dass sie als passive beides interessant fände. Eine Erfahrung aus dem professionellen Bereich kam zur Sprache, von einem mehrseitigen Fragebogen, der auf eine Anfrage hin zugesendet wurde, um als Grundlage für das Vorgespräch zu dienen. Der betreffende war dadurch jedoch eher abgeschreckt, da er am liebsten doch alles auf sich zu kommen lassen wolle. Dass ihm eigentlich keine Planung möglich sei, weil seine Partnerin vor allem aus Bauchgefühl agiere, meinte ein passiver Teilnehmer, was von der ebenfalls anwesenden Partnerin bestätigt wurde. Sofern sie selbst sich auf die Sub-Seite begebe, würde sie sich ebenfalls gerne überraschen lassen. Dem bereits genannten Begriff der Grob-Planung schloss sich ein Teilnehmer an und meinte, dass er an ein gänzlich planloses "Dahin-SMen" nicht glaube. Dennoch differenzierte er, dass ein guter Plan ein gutes Bauchgefühl nicht ersetzen könne, darum wolle er nicht das eine gegen das andere ausspielen. Passend schloss sich auch seine Partnerin an, die ein Entweder-Oder ebenfalls ablehnte. Sie ergänzte, dass eine konkrete Vorstellung im Kopf auch verhindere, wenn sie auf die passive Seite switche, sich auf eine Session einzulassen. Auch kenne sie die Erfahrung, dass Alltagssituationen bei ihr Ideen aufkommen ließen, was daraus im Rahmen einer spontanen Session zu machen sei. Dass Planung dann weniger relevant sei, als Bauchgefühl, versteht sich von selbst. Zum Abschluss der Runde, wurde der Begriff der "Absicht" eingeführt, der dem betreffenden wichtig sei, die ja dann Planung erfordere. Er wolle gern spüren, dass jemand mit ihm etwas vorhabe; dass mit ihm etwas gemacht werden solle.
Damit ergab sich bereits die Diskussion, denn der Hinweis wurde eingeworfen, dass ja eigentlich jeder Beteiligte an einer Session eine Absicht, ein Interesse habe. Bedarf dies immer eines Planes?
Vielleicht mit Bezug auf den erwähnten Fragebogen wurde darauf hingewiesen, dass die Benennung der "Gos" und "No-gos" Aspekte seien, die in eine Planung mit hineingehörten. Geschieht Planung vielleicht auch unbewusst oder indirekt?
Dass die Frage der Planung und der Möglichkeiten sich bei den Generationen unterschiedlich auswirkt, erwähnte ein Teilnehmer, denn Junge Leute hätten viel mehr Spaß an der Vielfalt, könnten Multi-Tasking-Fähig, vielleicht auch durch den Umgang mit modernen Medien, mit viel mehr Reizen umgehen, die sich dann aber vielleicht eher an der Oberfläche abspielten, statt in die Tiefe gingen. Nutzt ein erfahrener Sadomasochist seine Möglichkeiten bei einer Session auch eher spontan in der Breite, statt in der Tiefe der Erfahrung? Und benötigt dies eine "Absicht"?
Auch der Passive habe ja eine Absicht, wurde hier erneut erinnert, und dies erfordere eine gewisse Grundbereitschaft, sich auf etwas einzulassen. Auf aktiver Seite, bedeute dies nicht unbedingt, dass man einen Plan haben müsse. Die Absicht beider Beteiligter wäre vielleicht, einen schönen Abend miteinander zu verbringen. Dass dies breit gefächert sein könne, wurde im weiteren Gespräch klargestellt, denn dies könne ein Besuch des Kinos, das Essengehen, gemeinsames Joggen oder ein mediterraner Snack bei Käse, Rotwein und Italienischer Salami bedeuten, oder auch Sex. Da die Anwesenden sich zu einem SM-Gesprächskreis trafen, könnte davon ausgegangen werden, dass dieser sich im Bereich von SM abspielte, dort wieder in der Spielart DS, BD oder SM, und dann nochmals auf verschiedene Art. Man könne eine Art "Absichts-Pyramide" aufstellen, bei der die Absicht sich jeweils weiter auflöst und vielleicht an einem Punkt abbricht, an dem dann die Tätigkeit grob festgelegt ist und von Intuition und Bauchgefühl ersetzt wird - oder eben von einer differenzierteren Planung. Fraglich könne sein, ob am Ende der Sklave entspannt wimmernd in der Ecke liegen soll, oder der Parnter auf Augenhöhe sich fröhlich pfeifend im Nachgang an der Erinnerung an das Geschehene freuen soll - beides mögliche Absichten im Spektrum SMiger Spielarten.
Es kam dann zum Vorschlag, statt "Planung" den des "Konzepts" zu verwenden, weil dieser weniger ausgefeilt klinge. Im Rahmen pädagogischer Gruppenarbeit würde ja auch oft so verfahren, dass man eine Wochen- oder Tagesplan erstelle, und dennoch, bei der Durchführung, auf die Individuelle Situation der Gruppenteilnehmer einginge, wodurch der Plan sich oft genug veränderte.
Ein Teilnehmer verglich an dieser Stelle die Situation mit einem Feuerwerk, das für die Zuschauer einen gefühlvollen, ästhetischen Genuss darstellen kann, jedoch von den Machern minutiös durchgeplant wurde - obwohl auch für diese am Anfang die Vision, die Vorstellung des Ergebnisses stand. Eine Teilnehmerin wies zu Recht darauf hin, dass der Partner bei einer Session ja kein toter Feuerwerkskörper sei, da er ja auch sein Interesse habe (und bei aufkommender Heiterkeit war die Rede von Blindgängern, Knallfröschen und Raketen). Ein passiver Teilnehmer meinte dann bestätigend, dass es ihn am glücklichsten mache, wenn er sich von seinen Wünschen lösen könne, als wenn er die Realität mit seinen Vorstellungen verglich.
Insgesamt schien bei jeder Stelle des Gesprächs der Vorzug der Spontaneität zu gelten - wobei die Ursache für einige darin zu liegen schien, dass am heutigen Abend diejenigen nicht da seien, die sonst eher in Richtung Planung zu tendieren schienen. Noch kurz wurde die Erfahrung einer nicht benannten oder anwesenden Dritten erwähnt, die sich sehr wünschte, im Vorfeld einer Session von ihrem Dom eher mit Fragmenten von Andeutungen gefüttert zu werden, weil es sie besonders erregte, sich schon tagelang gedanklich mit dem zu beschäftigen, was auf sie zukommen könnte - sodass die Vorfreude tatsächlich die größte Freude für sie war. Eine Erfahrung, die von einigen Anwesenden dann auch dankbar bestätigt wurde und die mit Sicherheit, Absicht und Planung auf aktiver Seite voraussetzt.
"Wenn ich plane, morgen, bei der Session die Streckbank einzusetzen, und dies und das zu machen, wird es schlecht sein, wenn ich am folgenden Tag feststelle, dass ich gar nicht im Besitz einer Streckbank bin", wurde als banaler Beleg für die Notwendigkeit einer gewissen Planung angeführt. Als erneuter Vergleich wurde hier die Arbeit eines Malers erwähnt - der eben auch die Rahmenbedingungen, Werkzeuge, Farben und das Format usw. planen muss, dann, im künstlerischen Prozess sich aber auf sein Bauchgefühl verlässt. Dass sich das ästhetische, künstlerische Verständnis - und damit auch das Selbstverständnis des Malers - sich im laufe der Jahre gesellschaftlich gewandelt hat, wurde dann von weiteren Teilnehmern ergänzt: Die Mona Lisa von Leonardo da Vinci sei akribisch geplant worden, ebenso sei inzwischen Nachweißbar, dass Albrecht Dürer viele seiner Werke nicht nur technisch revolutionär angefertigt hat, sondern dabei auch äußerst planerisch vorgegangen ist. [Anm.: Erst der Wechsel von der klassischen Malerei in die Moderne (von Naturalismus zum Impressionismus und Expressionismus) gab erst im neunzehnten Jahrhundert dem Bauchgefühl, im Rahmen einer gewissen Abstraktion, den Vorrang (vor der geplanten, reinen Abbildung); statt einen Gegenstand einfach abzubilden, wurde versucht, diesen zu durchdringen, sein Wesen zu erforschen.]
Für die Abschlussrunde wurde nach Slogans gefragt, mit denen die Anwesenden ihre Einstellungen gegenüber Planung oder "Bauchgefühl" zusammenfassen könnten. Diese waren dann:
"Ich habe die Absicht, ein schönes Spiel zu erleben"
"Die Unsicherheit kickt mich"
"Was zählt ist der ,böse' Wille"
"Erfahrung schlägt Plan"
"Achterbahn planen erfordert Präzision - sie zu fahren erzeugt Bauchgefühl".

Veranstaltungsdaten:

Datum: 27.09.2019
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort:
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Ausfahrt Fellbach-Süd, dann Richtung Kernen-Rommelshausen, nach der Ortseinfahrt (Kernen-Rommelshausen) im ersten Kreisverkehr rechts in die Waiblinger Straße einbiegen, diese macht dann einen Linkskurve, danach in die Hauptstraße rechts einbiegen (unmittelbar nach der Bäckerei), der Straße folgen, das Gasthaus befindet sich an der linken Straßenseite

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS

Kontakt: info@SundMehr.de