Prostituiertenschutzgesetz und "Sexkaufverbot" (zu Gast: eine Sexualtherapeutin)

Nicht alle in der BDSM-Szene nehmen sexuelle Dienstleistungen war. Doch lebte die BDSM-Szene neben Stammtischen und Gesprächskreisen wie unseren, auch vor allem durch Partys, Workshops oder Events, die oft von engagierten Privatleuten, aber auch von Menschen aus dem professionellen Bereich, organisiert und angeboten wurden. Das Ziel schien hierbei immer daraus zu bestehen, Entfaltungs- und (Spiel-)räume für die eigene Sexualität zu bieten - bis hin zur reinen Selbsterfahrung, Aufklärung und Sicherheit - und natürlich auch dem reinen Ausleben der eigenen sexuellen Vorlieben. In manchem Ratgeber wurde daraufhin gewiesen, dass dies gerade für Anfänger und Szene-Unerfahrene im Rahmen der geschützten Öffentlichkeit einer Party weit sicherer ist. Sind im Notfall eines Unfalls oder Übergriffs doch schnell andere erreichbar, die hilfreich mit einschreiten können. Und in professionellen Studios konnte mancher auch ohne Partnerin erste Erfahrungen sammeln.
In den letzten Jahren bildete sich bezüglich BDSM eine Schnittmenge zwischen sexueller Dienstleistung im professionellen- und privaten Bereich. Gleichzeitig gab es eine politische Diskussion zum Thema der Zwangsprostitution - deren Ergebnis das am 1. Juli 2017 verabschiedete Prostituiertenschutzgesetz war. Die Gleichsetzung des Begriffs der Prostitution mit "sexueller Dienstleistung", bewirkt darin, dass jeder Anbieter eines Events und alle Sexworker, die nun pauschal als "Prostituierte" gelten, sich behördlich registrieren lassen müssen.
Weil ein Workshop auch als sexuelle Dienstleistung verstanden werden kann, fielen damit bereits viele privat-organisierte Workshops der BDSM-Szene weg und wenn eine Party in einem Studio stattfindet - findet sie in einer "Prostitutionsstätte" statt, was umfangreiche Anmelde- und Registrierungspflichten nach sich zieht. Öffentliche Studio Partys wie früher gibt es daher nicht mehr.
Doch aktuell gibt es die Diskussion darüber, Prostitution insgesamt zu verbieten, indem die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen unter Strafe gestellt wird. Die Positionen dazu sind zwischen den Kirchen und auch Vertreterinnen von Frauenverbänden unterschiedlich.

Geht die Thematik die Teilnehmer des Gesprächskreises überhaupt etwas an? Daria Oniér, ehemalige Mitinhaberin des Studios Excentric, setzt sich z.B. in einer ARD-Dokumentation gegen die Verschärfung des Prostitutionsschutzgesetztes ein. Wir freuen uns, dass sie an diesem Abend bereits ist, zu kommen und mit uns darüber ins Gespräch zu kommen.

Und wie davor auch, wechseln wir ab 10 Personen vom kostenfreien Nebenraum in den etwas größeren - legen dann aber die Raummiete gemeinsam zusammen (pro Nase, etwa 4,50 ?).

Damit wir abschätzen können, wie viel wir sind, bitten wir um Anmeldung über info@SundMehr.de .

Bitte beobachtet die bekannte Mailingliste sofern es kurzfristige Änderungen gibt!

Rückschau

3 Teilnehmerinnen und 3 Teilnehmer des Gesprächskreises SundMehr trafen sich am 26.08.22 um mit der eingeladenen Sexualtherapeutin Daria Oniér über das Prostituiertenschutzgesetz und das von diversen Interessengruppen propagierte Sex-Kaufverbot ("Nordisches Modell" ) ins Gespräch zu kommen. [Nachträglich sei Angemerkt, dass auch verschiedene Initiativen, die sich sozialarbeiterisch beratend mit Personen beschäftigen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, sich gegen das Sexkauf-Verbot positionieren, darunter das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, sowie ein weiteres, dem unter anderem der deutsche Juristinnenbund, die Mitternachtsmission Dortmund e.V. und die Diakonie Deutschland angehört, ebenfalls in einem offenen Brief.]
Der moderierende Teilehmer, berichtete von seiner eigenen Entwicklung, sadomasochistsiche Erfahrungen der passiven Art früher mehr im professionellen Bereich gefunden zu haben, zwischenzeitlich dann im privaten, dann aktuell wieder mehr im professionellen Bereich - je nach Kassenlage. Bei einem Sex-Kaufverbot, würde er persönlich kriminalisiert. Es gibt aktuell eine Bewegung, die darauf abzielt, Sex-Arbeit nach dem "Schwedischen Modell" im Prinzip abzuschaffen, in dem nicht das Angebot, sondern die käufliche Inanspruchnahme entsprechender Dienstleistungen verboten wird.
Da sich alle Anwesenden gut kannten, konnte auf die Vorstellungsrunde verzichtet werden. Daria Onièr begann mit ihrem Impuls zunächst mit der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung. [Vom Autor ergänzt: Nach der Anerkennung von Prostitution als Beruf, durch die damalige rot-grüne Bundesregierung, konnten Prostituierte sich nicht nur Sozialversichern, sondern auch ihre Bezahlung einklagen, weil die Tätigkeit nicht mehr als "Sittenwidrig" eingestuft wurde. In der Folgezeit kam der Vorwurf auf, dass Deutschland sich zum "Bordell Europas" entwickelt habe, zitiert der Deutschlandfunk auf seiner Seite eine Verfechterin des Sex-Kaufverbotes, in einem Faktencheck. Dabei wird erwähnt, dass bei den Zahlen in den Medienberichten, Schätzungen mit der offiziellen Zahl, registrierter Prostituierter gerne vermischt werden.] Das dann 2017 eingeführte "Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen" (Prostituiertenschutzgesetz - ProstSchG) sollte dem entgegenwirken und Sexarbeiterinnen, insbesondere auch vor Zwangsprostitution schützen und ab jetzt, für die nächsten 3 Jahre evaluiert werden.
Nach der Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes, gründete sich auch der Landesverband erotischer und sexueller Dienstleistungen. Auffällig ist, dass laut dem Prostituiertenschutzgesetz jede Form der sexuellen Dienstleistung, egal ob selbstbestimmt im Bereich von Tantra- Workshops, BDSM-Studios oder Sexualassistenz (für Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung), per se als Prostitution gelten. Prostitution ist zwar an sich legal, die dort Tätigen sind jedoch schon jetzt nahezu kriminalisiert, denn nach § 29 des schon bestehenden Gesetzes, gilt die verfassungsmäßig garantierte "Unverletzlichkeit der Wohnung" für sie nur eingeschränkt: Während der üblichen Geschäftszeiten darf die "Prostitutionsstätte" von den Überwachungsbehörden (auch ohne Durchsuchungsbefehl) betreten und Einkünfte eingeholt werden. [Für Sadomasochisten bedeutet dies konkret, dass die Session bei der Domina jederzeit von der Polizei unterbrochen werden darf, damit z.b. Personalien aufgenommen und ein Blick in die Geschäftsunterlagen geworfen werden kann.] Dies gilt nicht nur für behördlich registrierte Prostituierte, sondern auch dann "wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein Prostitutionsgewerbe ohne die erforderliche Erlaubnis ausgeübt wird..." (§31 ProstschG), was auch durch häufig wechselnde Geschlechtspartner (die der Nachbar feststellt und den Behörden meldet), gegeben sein kann, so Onièr.
Nach dem Prostituiertenschutzgesetz müssen die Dienstleister ihren Prostituiertenausweis und die Bescheinigung des Gesundheitsamtes immer bei sich tragen. Wenn jemand eine Prostituierte privat kennt und dieser auf einer SM-Party einen Wein spendiert, kann dies sofort als sexuelle Dienstleistung gegen Entgelt eingeordnet werden - was die Party sofort zu einer Prostitutionsveranstaltung macht (und für die Organisatoren, sofern diese nicht als solche angemeldet ist, Bußgelder nach sich ziehen kann).
Schon das vorhandene Gesetz führt zu komplizierten und komplexen Regelungen. Eine professionelle Dienstleistung durch eine registrierte Prostituierte darf durch nicht mehr als eine Person verrichtet werden. Auch in die eigene Privatwohnung darf eine Prostituierte Kunden empfangen - sofern keine andere Prostituierte anwesend ist, denn dies mache die Wohnung zu einer "Prostitutionsstätte". Sehr zweifelhaft ist, ob dies die Sicherheitslage für die Prostituierten besser macht. Auch eine Veranstaltung, bei der Geld für eine sexuelle Dienstleistung fließt (und sei dies ein Bondageworkshop), wird damit zu einer "Prostitutionsveranstaltung". Behördlicher Willkür ist somit Tür und Tor geöffnet, denn wer will der Sittenpolizei glaubhaft machen, dass die vielleicht zufällig und rein privat auf einer Party anwesende Prostituierte, die aktuell nicht in eine Session involviert ist, sondern mit ihrer Bekannten am Rande der Party einen Wein trinkt, nicht doch beruflich hier ist? Erfahrungen in Stuttgart zeigen, dass die Behörden in Baden-Württemberg das ProstSchG wohl weit enger auslegen wollen, als in anderen Bundesländern.
Viele Befürworter des Sexkaufverbots sind Anhänger des radikalen Feminismus: "Gewalt" ist männlich, Prostitution ist Gewalt (SM ohnehin), Penetration (beim Sex) ist ein Symbol männlicher Gewalt - selbstbestimmte sexuelle Dienstleistung gibt es nicht.
Ziel eines Sexkaufverbotes ist im Grunde, die Abschaffung der Prostitution (und damit jeder sexuellen Dienstleistung) an sich. Jeder macht sich strafbar, der vom Geld einer Prostituierten profitiert - ein Studio zu mieten würde unmöglich sein. (Schon jetzt ist es schwierig, als registrierte Prostituierte ein Bankkonto oder eine Krankenversicherung zu erhalten). Interessanter Nebeneffekt: Männliche Prostitution taucht nach diesen Gesetzen praktisch nicht auf.
Von den Teilnehmern kam die Frage, was man machen könnte, um konstruktive Gegenvorschläge für die Bekämpfung von Zwangsprostitution zu machen. Es entspann sich eine kurze Diskussion ob es eher die Bedingungen wie Armut sind, die Leute in die Prostitution treiben, oder ob der Staat, wie in der Corona-Krise und auch jetzt im Bereich der Verwaltung erkennbar ist, alles, was nicht direkt Geld erwirtschaftet zu Tode spart - und damit auch Ordnungsbehörden wie Polizei und Steuerfahndung die personellen Ressourcen nimmt, um ohnehin schon geltende Gesetze, wirksam um- und durchzusetzen, sowie: inwiefern Prostituierte nicht sogar durch die Aufwertung ihres Berufs (als Ausbildungsberuf mit Sexualtherapeutischen oder -pädagoischen Inhalten) dazu führen könnte, dass Zwangsprostitution bekämpft wird. Schließlich würde nur bei Sexualität genau hingeschaut, denn auch in anderen Gewerben gäbe es ausbeuterische Bedingungen, die Leid verursachen. Dabei müsse nicht jeder Fleischverarbeiter oder Sanitärfachmann sein Zertifikat stets mit sich führen muss, um nachzuweisen, dass er sozialversichert ist. Und weder er noch der Nachbar macht sich strafbar, wenn er ihm mal hilft, den tropfenden Wasserhahn zu reparieren.
Onièr wies hier darauf hin, dass Menschenhandel, zwecks sexueller Ausbeutung bislang ohnehin schon verboten sei. Fraglich sei, ob man Leute, die selbstbestimmt im Bereich der sexuellen Dienstleistung arbeiten, vor etwas schützen muss, vor dem sie gar nicht geschützt werden wollen oder brauchen - und erst recht nicht auf diese Weise. Dabei wies sie darauf hin, dass es natürlich fragwürdig sei, dass ganz offiziell in osteuropäischen Ländern, wie z.B. Rumänien, in Arbeitsämtern dafür geworben wird, nach Deutschland zu gehen, um dort im Prostitutionsgewerbe zu arbeiten.
Umgekehrt zeigten schon jetzt Erfahrungen aus Schweden, dass es dort Ausstiegshilfen nur für Personen mit schwedischer Staatsbürgerschaft gäbe, was die Wirksamkeit für Menschen mit Migrationshintergrund stark einschränkt.
Dagegen gäbe es Erfahrungen aus Studien, dass erst nach 5 bis 6 beratenden Gesprächen mit Zwangsprostituierten das Vertrauen gewachsen sei, sich aus der Situation heraus helfen zu lassen. Ein großes Problem stelle hier auch die Sprachbarriere dar. Fraglich sei darum, ob das Geld, das schon jetzt in die Verwaltung und Überwachung von Prostitution gesteckt wird, nicht besser in Beratung und Sprachkurse für Prostituierte investiert sei, damit der Ausstieg aus der Zwangslage erleichtert würde.
Schon jetzt wird ein Schutz von Zwangsprostituierten kaum erreicht, dafür werden alle Prostituierten generell stigmatisiert - und zunächst trifft es diejenigen am stärksten, die bereit sind, am transparentesten mit den Behörden zu kooperieren. Sofern der Geldbeutel mit dem "Hurenausweis" im Supermarkt aus der Tasche fällt und von den Nachbarn gesehen wird - kann dies zu Vorurteilen und Diskriminierung führen. Die Wahl, ob sich eine Prostituierte in ihrem Privatleben dem aussetzen will, stellt sich dann nicht mehr - was eine kurze Diskussion über Parallelen zum Coming-Out als SMer nach sich zog. Gerätselt wurde auch darüber, ob die Tätigkeit als Prostituierte Eingang in ein polizeiliches Führungszeugnis finde, was nach kurzer Internet-Recherche eines Teilnehmers verneint werden konnte.
Insgesamt gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem, was mit dem Prostituiertenschutzgesetz erreicht werden soll, und was real vorhanden ist. Insgesamt scheint die Entwicklung zu einem großen Rückschritt, bezüglich Aufgeklärtheit zu führen - auch hinsichtlich der Möglichkeiten, für die SM-Szene.


Veranstaltungsdaten:

Datum: 26.08.2022
Uhrzeit 20:00 Uhr
Ort:
Anfahrt:

Anfahrt über B 14/B29:
Ausfahrt Fellbach-Süd, dann Richtung Kernen-Rommelshausen, nach der Ortseinfahrt (Kernen-Rommelshausen) im ersten Kreisverkehr rechts in die Waiblinger Straße einbiegen, diese macht dann einen Linkskurve, danach in die Hauptstraße rechts einbiegen (unmittelbar nach der Bäckerei), der Straße folgen, bis zum nächsten Kreisverkehr. In diesem rechts (erste Ausfahrt) Richtung "Alte Kelter, Sportanlagen, Kleingartenanlagen" in die Kelterstraße. Dieser ca. 650 m folgen, bis zum Sportplatz.

Anfahrt mit öffentlichen Verkehrmittel siehe Homepage der VVS

Kontakt: info@SundMehr.de